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41 Jahre HfÖ: Was war und was ist geblieben?

Festrede von Frau Prof. Christa Luft , Rektorin der Hochschule für Ökonomie von 1988 bis 1990, auf dem Absolvententreffen am 17.09.2022

Prof. Christa Luft bei ihrer Festrede

Liebe Absolventinnen und Absolventen aller Immatrikulationsjahrgänge seit 1951 und aller Studienrichtungen an der Hochschule für Ökonomie (HfÖ)!

Eine kurze Vorbemerkung: Eigentlich hatte jemand anders die Rede halten sollen. Hätte die Corona-Pandemie nicht zu einer zweimaligen Verschiebung unseres Treffens geführt, stünde jetzt hier jemand aus den allerersten Anfängen der Hochschule. Doch hat der Lebenskreis der ursprünglich ins Auge Gefassten sich leider schon geschlossen. Ich denke an sie und hoffe, dass ich, die 1956 mit dem Studium begann, der ehrenvollen Aufgabe gerecht werde.

Die HfÖ, unsere Alma mater, wäre in zwei Wochen 72 Jahre alt geworden. Es hat nicht sollen sein!

Am 4. Oktober 1950 auf Beschluss der DDR-Regierung als Hochschule für Planökonomie gegründet und 1956 durch Vereinigung mit der Hochschule für Finanzen Potsdam- Babelsberg und 1958 mit der Hochschule für Außenhandel Berlin-Staaken zur Hochschule für Ökonomie erweitert, hatte sie den Auftrag, junge, begabte Menschen, vorwiegend Kinder von Arbeitern und Bauern, aber auch aus anderen sozialen Schichten, zu Wirtschaftsfachleuten auszubilden. Sie ist also auch ein Beweis für das in der DDR gebrochene Bildungsprivileg von Abkömmlingen begüterter Elternhäuser.

Belastet mit Kriegszerstörungen, Teilungsfolgen, erheblichen Reparationszahlungen, die die DDR schließlich zu 98 Prozent für ganz Deutschland allein erbrachte, geknebelt von Embargos und Sanktionen musste der junge Staat sich in der Welt politisch und wirtschaftlich etablieren und brauchte dafür entsprechende Kader. So nahm die neue Bildungsstätte 1951 zunächst mit 185 Studierenden die Arbeit auf.

Dieser erste wie jeder danach folgende Immatrikulationsjahrgang hat seine eigenen Erfahrungen gemacht und reflektiert die Studienzeit sicher auch spezifisch. Aber eines eint uns alle: Die, die noch die letzten Weltkriegsjahre und -wochen persönlich miterlebt haben und jene, die die Greuel aus Erzählungen kannten, hatten verinnerlicht: Frieden ist ein hohes Gut. Wir fühlten uns freundschaftlich verbunden mit der von Hitlerdeutschland überfallenen und verwüsteten Sowjetunion und fühlen uns heute sprach- und hilflos, wenn wir erlebeben müssen, was unter der aktuellen russischen Führung aus dem Land geworden ist. Dabei wissen wir sehr wohl, dass alles Böse im privaten Leben wie in der Politik eine Vorgeschichte hat. Aber die Achtung von Frieden und Völkerfreundschaft gehören bleibend zu unseren Genen. Wir standen immer jubelnd an der Straße, wenn die Friedensfahrt vorbeirollte und wünschten Täve Schur mit seinen Mannen Glück. Wir waren begeistert als die Kunde kam, Vietnam sei befreit und damit befriedet. Wir haben mitgefiebert, dass Nelson Mandela endlich freikommt aus seinem elenden Verlies und Angela Davis ein normales repressionsfreies öffentliches Leben führen kann.

Aufhebenswert ist, dass das Studium praxisverbunden, aber nicht eng ökonomistisch war. Die Politische Ökonomie wurde als eigenständiges Theoriengebäude und zugleich als Grundlage für die ökonomischen Fachdisziplinen gelehrt. Ebenso wurden wir Studierenden in das für das wirtschaftswissenschaftliche Studium relevante philosophische Denken eingeführt. Wert gelegt wurde auf die Ausprägung des historischen Denkens.

Die meisten von uns bekamen ein für damalige Verhältnisse auskömmliches Stipendium, das bei guter Leistung aufgestockt werden konnte. Im Internat fanden viele von uns eine Bleibe für 10 Mark der DDR im Monat.
Die Karlshorster Hochschulküche war Spitze, ich habe vor den fleißigen Küchenfrauen, deren Kochgerätschaften nicht die modernsten waren, immer den Hut gezogen. Ein Highlight war der jährliche Fasching, der Studentenclub ein gern besuchter geselliger Ort.
Viele Männlein und Weiblein fanden an der HfÖ die Partnerschaft fürs Leben, wir werden davon hier noch hören. 

Natürlich war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch hier will ich nur Stichpunkte nennen:
In der DDR und den meisten anderen realsozialistischen Ländern war  ausschließlich der Marxismus, genauer der Marxismus-Leninismus als Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens akzeptiert, er war das Kompendium ewiger Wahrheiten, nicht interpretations- und anpassungsbedürftig. Das war ein Armutszeugnis, weil es den geistigen Horizont verengte und die Entwicklung einer wissenschaftlichen Streitkultur und einer fundierten Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen erschwerte. Karl Marx hätte gewiss nicht gewollt, dass jedes Wort von ihm in Stein gemeißelt wird.

Insgesamt reflektierten wirtschaftswissenschaftliche Lehre und Forschung in der DDR den Zusammenhang von Politik und Ökonomie, und insbesondere von Wirtschaftspolitik und Wirtschaftstheorie. Die Theorie hatte einen unzureichenden Einfluss auf die Politik, Diskussionsgrenzen wurden von der Parteiführung und ihrem Apparat gezogen. Sie erreichte so Zurückhaltung bei der Kritik am verknöcherten, Initiative und Effektivität bremsenden Wirtschaftsmechanismus und einen hohen Grad an Anpassungsbereitschaft. Kritische Diskussionen gab es, aber eher in internen Zirkeln. Das änderte sich auffällig in den 1980er Jahren. Und bei meiner Investitur als Rektorin der HfÖ  im Oktober 1988 fasste ich mir im voll besetzten Audimax ein Herz und  sagte: „Ich möchte, dass dieses große leistungsfähige und leistungswillige Kollektiv nicht immer im Nachhinein die Beschlüsse der Parteiführung begrüßen und als „weise“ popularisieren soll,  sondern  dass wir Gelegenheit bekommen, im Vorfeld daran mitzuwirken. Nicht weil wir uns als Besserwisser fühlen, sondern weil Wissenschaft eine Bringschuld gegenüber der Gesellschaft hat. Wenn sie der nicht nachkommt oder nachkommen darf, ist sie überflüssig“. Nie habe ich  so viel Beifall bekommen wie damals. Nur die Ehrengäste in der ersten und zweiten Reihe senkten pikiert die Köpfe.  Und beim feierlichen Essen in der Professorenmensa nach der Investitur nahm der Hochschulminister mich bei Seite und sagte: Weißt Du, wenn Du noch öfter solche kessen Reden hälst, dann kriegt die Hochschule nicht nur ein neues Dach und eine neue Fassade (das waren meine Bedingungen gewesen, für die Übernahme des Amtes) dann kriegt sie einen Zaun rundherum. Zugegeben. Er, der gerne einen trank, hatte schon ins Glas geguckt. Aber es kommt nichts raus aus dem Kopf, was nicht schon darin ist.

Viel Zeit, mein Anliegen konzeptionell umzusetzen, blieb uns leider nicht. Nach dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz der Bundesrepublik passierte mit der HfÖ, was in den meisten gesellschaftlichen Bereichen geschah: Sie wurde schnöde abgewickelt ohne Evaluierung einzelner Mitarbeiter, ohne Evaluierung der Leistungen einzelner Wissenschaftsbereiche. Das geschah auf Beschluss des Berliner Senats. Einzige Grundlage des Abwicklungsbeschlusses war ein von der Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller (SPD) bestelltes Gutachten eines Schweizer Hochschulprofessors für Zoologie. Sein Forschungsschwerpunkt war Entwicklungsbiologie, und im Auftrage der Schweizer Regierung beschäftigte er sich auch mit Wissenschaftspolitik. Er sollte „Fehlentwicklungen in beiden Teilen Berlins benennen und Ideen für eine Neuordnung“ unterbreiten. Natürlich gab es für ihn in Westberlin nichts zu korrigieren, bedenklich fand er nur die lauten studentischen Mitspracheforderungen gegenüber den Hochschulleitungen.

Ungeachtet ihrer Leistungen, ihrer internationalen Reputation und ihres wissenschaftlichen Potenzials wurde die HfÖ auf Basis vorgenannten „Gutachtens“ als nicht zum westdeutschen Wissenschaftssystem passende Einrichtung eingestuft und als nicht systemkonforme Institution abgewickelt. Es hieß, einen Teil dessen, was dort gelehrt wurde, gäbe es auch an anderen Berliner Hochschulen, es käme also zur Doppelung. Ein anderer Teil hätte eine planwirtschaftliche Konnotation und sei in marktwirtschaftlichem Umfeld unbrauchbar. Selbst dass es Unikate gab, wie das Institut „Umweltökonomie und Raumordnung“ oder das Institut „Ökonomik der Entwicklungsländer“ um nur Beispiele zu nennen, spielte keine Rolle.

Christa Luft mit den vietnamesischen Absolventinnen Hai Bluhm und Thanh Mai Denzin

Entgegen der Prognose der aus Westberlin stammenden Berliner Wissenschaftssenatorin, die den HfÖ-Absolventen in der Marktwirtschaft wenig Chancen einräumte, haben sich diese auch unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen der Wirtschaft bewährt. Viele erzählten mir bei zufälligen Treffen, von ihren neuen, zumeist westdeutschen Chefs erstaunt gefragt worden zu sein: „Haben Sie zwei Diplome? Sie sind fachlich versiert und können komplex denken.“ Ein stolz machendes Kompliment, wie ich finde. Wir werden heute noch an persönlichen Beispielen bemerkenswerte Nachwende-Karrieren kennenlernen. Das waren keine Wendhälse, sondern die Betreffenden haben von dem geschöpft, was sie hier gelernt hatten.

Also: die zehntausenden Absolventen sind bleibende Zeugnisse der HfÖ-Leistungen. Das betrifft gleichermaßen die ausländischen Absolventen, die nach Rückkehr in ihre Heimatländer in der Regel dort wichtige Positionen in Staat und Wirtschaft einnahmen.

Mit dem bestellten Gutachten eines Zoologen für die Liquidierung waren wir an der HfÖ zutiefst düpiert worden, aber das blieb unter dem, was an der Humboldt-Universität mit der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät passierte. Dort war ein in neoklassischer ökonomischer Theorie und ihrer Mathematisierung ausgewiesener Professor Wilhelm Krelle, ein ehemaliger SS-Generalstabsoffizier und glühender Hitler-Anhänger, als Vorsitzender der Struktur- und Berufungskommission zur Erneuerung der Ökonomenausbildung eingesetzt und mit der Abwicklung betraut worden. Der machte gleich mit der Drohung von sich reden: „Kein Marxist wird seinen Fuß über diese Schwelle setzen, solange ich hier das Sagen habe.“ Er befand 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Sektion Wirtschaftswissenschaften als unzumutbar für die bundesrepublikanische Demokratie, weil sie sich dem DDR-System nicht entzogen hätten. Skandalös ist, dass die Leitung der Humboldt-Universität auch nach Bekanntwerden der von Krelle selbst verschwiegenen Vita keinen Grund sah und bis heute sieht, ihm die Ehrendoktorwürde abzuerkennen. Krelle aber war kein Einzelfall in der bundesrepublikanischen Hochschullandschaft.

Offener als manch anderer seiner Zunft nannte Ökonomieprofessor Rudolf Hickel von der Hochschule Bremen in seinem Beitrag auf einer Konferenz im Jahre 2011 anlässlich des 20. Jahrestages der HfÖ-Abwicklung das rigorose Schleifen dieser wie anderer DDR-Einrichtungen wörtlich eine „imperialistische Eroberung“. Ihre Abwicklung stünde „stellvertretend für einen unglaublichen, der alten Bundesrepublik entstammenden „Wissenschaftsimperialismus“. Die jetzt von der in Westdeutschland vorherrschenden Wirtschaftswissenschaft angebotenen Methoden und Modelle eint die Verpflichtung, im Kern die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zur überhistorischen Wahrheit zu deklarieren, so Hickel.

Christa Luft im Gespräch mit dem Präsidenten der HTW beim Absolvententreffen

Ich gestehe: Mit gewisser Genugtuung erfüllt mich, wenn ich am Gebäude der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) vorbeigehe, die heute auf dem Campus der ehemaligen HfÖ steht, dass hier nicht nur stramme Mainstream-Anhänger Chancen auf Professuren und Dozenturen hatten, sondern auch WissenschaftlerInnen mit anderem geisteswissenschaftlichem Hintergrund.   

Insgesamt ist aber nach der deutschen Einheit die Chance für eine überfällige Reform der deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Lehre und Forschung verpasst worden.

Heute dominieren mathematische Modelle und betriebswirtschaftliche Techniken die ökonomische Ausbildung und verdrängen die makroökonomische Sicht, die soziale, ökologische, auch ethische Belange einschließen muss. Unverzichtbar ist ein ganzheitlich orientiertes Studium mit gesamtgesellschaftlichem Bezug und sozialer Zielsetzung wie es – bei allen nicht zu leugnenden politischen Beschränkungen an der HfÖ und anderen DDR-Lehreinrichtungen im Laufe der Zeit und insbesondere in den 1980er Jahren angestrebt und zunehmend umgesetzt wurde.

Die geistige Monokultur in den curricula der Volkswirtschaftsausbildung an den Universitäten und Hochschulen gehört überwunden. Über Jahrzehnte galt es in der Ökonomik als Gewissheit, dass sich auf Märkten das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage automatisch herstellt, dass Effizienz die Regel und Versagen die Ausnahme ist, dass Börsenkurse alle verfügbaren Informationen rational und richtig widerspiegeln. Das hat sich erkennbar als Irrlehre erwiesen. Funktionierende Märkte benötigen Gesetze, Regeln und Sanktionen. Auch der Glaubenssatz, mikroökonomisches Gewinnstreben führe automatisch zu makroökonomischem Erfolg, kollidiert auffällig mit der Empirie. Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspolitik müssen darauf zielen, Eigennutz und Gemeinsinn, einzelwirtschaftliche Rationalität und gesamtwirtschaftliche Vernunft weitestmöglich in Einklang zu bringen. Das ist eine schwierige, aber unerlässliche Herausforderung.

Wenn es darum geht, Konsequenzen aus den jüngsten wirtschaftlichen und finanziellen Fehlentwicklungen in Deutschland und Europa zu ziehen, auch aus der Corona-Pandemie, gibt es in der ökonomischen Ausbildung in der DDR zwar keine Blaupausen, aber durchaus Anregendes. Ist etwa planvolles Wirtschaften, nicht die administrative bürokratische Planwirtschaft, mit Diktatur  gleichzusetzen? Ist es nicht bewahrenswert, dass der Mensch sich nicht auf eine Humanressource reduzierte, die sich rechnen muss? War es nicht ein Segen, dass Grund und Boden, diese beschränkt verfügbare Georessource, kein Spekulationsobjekt werden konnte? Zeigt die jüngste Entwicklung nicht, wie unerlässlich es ist, Bereiche der Daseinsvorsorge, insbesondere das Gesundheitswesen, die Pflege dem Marktmechanismus zu entziehen und in öffentlicher Regie zu betreiben? Zeigt sich im seit Jahren anhaltenden Lehrermangel, in fehlenden Wohnungen nicht ein Versagen des Systems, das gesellschaftliche Planung für ein Relikt des Sozialismus hält? Fragen über Fragen! 

Die HfÖ war Teil unseres Lebens und der Teil hatte viele Vorzüge, aber auch manche Tücken. Das Sozialismusmodell, mit dem unser Leben verbunden war, ist Geschichte, nicht aber die Idee, die ihm zugrunde lag. Das Nachdenken über gesellschaftliche Alternativen zum Realkapitalismus muss weitergehen.
Selbst der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff hegt Zweifel in die Zukunftsfähigkeit eines allein auf Profit ausgerichteten Wirtschaftsmodells. „Wenn Umweltverschmutzung , Finanzinstabilität, Gesundheits- und Bildungsprobleme sowie Polarisierung in der Einkommens- und Vermögensverteilung weiter wachsen und die Aushöhlung  der Demokratie anhält, könnte die Zukunft des Kapitalismus bald weniger gesichert erscheinen als heute“. Gut gebrüllt, Löwe!

Blumen für die Festrednerin, überreicht von Dirk Schneemann (Mitglied des OK2410)

Jetzt müssen es unsere Enkel ausfechten. Hoffentlich lässt ihnen die politische Großwetterlage dafür Gelegenheit und Raum.

Damit bin ich am Ende für heute, danke für die Aufmerksamkeit. Ich bemühe zum Schluss Goethe, der Mephisto im Faust II sagen lässt: „Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, das nicht die Vorwelt schon gedacht“. In diesem Sinne: Danke fürs Zuhören und lasst uns heute in Erinnerungen schwelgen!!!
Danke dem Organisationskomitee unter Leitung von Gernot Zellmer und Eberhard Merten für die großartige, umsichtige Vorbereitung dieses Treffens, das ein emotionaler Höhepunkt ist.