Autor: Holger Dutsch
Dipl. oec. Holger Dutsch (PÖ 86/1) hat seinen Abschluss 1991 gemacht, kurz bevor die Hochschule für Ökonomie „abgewickelt“ wurde. Er war danach als Banker u .a. in Frankfurt am Main, London und Wien tätig. Nach der Asienkrise arbeitete er einige Jahre für die Weltbank und den IWF bei der Restrukturierung von Banken in Indonesien und Südkorea mit.
Das Organisationskomitee (OK2410) möchte, dass Beiträge für die Website in drei Richtungen gehen sollten: Erinnerungen an die Zeit an der HfÖ oder „Seht, was aus uns geworden ist“ oder eine Wortmeldung zu aktuellen Themen. Aus dialektischem Übermut heraus schreibe ich von und zu allem etwas.
Wer wir waren
Mein HfÖ-Jahrgang sollte der letzte „normale“ werden, was wir bei der obligaten Rotlicht-Woche und im Apfelernte-Lager zu Beginn des Studiums im September 1986 nicht ahnen konnten. Wir waren angereist, uns für die Wirtschaft der entwickelten sozialistischen Gesellschaft fit machen zu lassen und traten dann nach gut vier Jahren den Dienst beim faulenden, parasitären Imperialismus an. Ironie der Geschichte.
Der HfÖ-Jahrgang 1986 war, wie auch die etwas älteren und die nachrückenden Semester, typisch für die späte DDR: entgegen der beschworenen Führungsrolle der Arbeiterklasse waren wir fast ausschließlich Akademikerkinder und ungeachtet Lippenbekenntnissen eher am eigenen Fortkommen als am Sieg der großen Sache interessiert (Ausnahmen bestätigten die Regel). Nicht wenige waren an der HfÖ gelandet, weil sie z. B. für Naturwissenschaften oder Medizin nicht so recht in Frage gekommen waren oder weil sie schlicht nicht wussten, was sie eigentlich einmal werden wollten. Heute würden diese Suchenden vielleicht etwas mit Medien machen. Auch spielte der Standort Berlin eine große Rolle; für Berliner, da diese nach ihrem Selbstverständnis das Stadtgebiet unter gar keinen Umständen verlassen konnten, während für Studenten aus den Bezirken die merkantile und kulturelle Vorzugsbehandlung der halben Hauptstadt sowie die vermeintlich besseren Karriereaussichten mitentscheidend waren. In Summe dürften wir also anders konditioniert gewesen sein als die Studienanfänger der 50er bis 70er Jahre.
Wie wir wurden
Der Studienbetrieb war, wie überall in der DDR, anfänglich recht verschult; das sollte sich später aber lockern. Generell herrschte ein Klima des gemäßigten Fortschritts im Rahmen der Gesetze. Der Fächerkanon war vorab bekannt, bot dann aber auch Möglichkeiten, den Blick über die verbindlichen Lehrstoffe hinaus zu weiten. Für mich waren dies besonders Wirtschaftsgeschichte und Politische Ökonomie des Kapitalismus (PÖK). Ich war und bleibe den Professoren und Dozenten dankbar, die mich auf interessante und kontroverse Theorien, Prozesse und Personen, freilich alle im Ausland, aufmerksam machten und die Beschäftigung damit förderten. Unpolitisches wie Mathematik, Statistik und Buchhaltung, aber auch die Fremdsprachen waren wichtig und sollten vielen von uns im späteren Berufsleben nützlich werden. Sicher gab es auch scheußliche, ja sinnbefreite Exerzitien, aber diese seien gnädigem Vergessen anheimgegeben.
Die Überschaubarkeit der Hochschule und der gerade aus heutiger Sicht traumhafte Betreuungsschlüssel ermöglichte es allen interessierten Studenten, „ihre“ Lehrstuhlinhaber und Seminarlehrer anzusprechen und sich ihren individuellen Problem- und Wahlthemen zu widmen. Was aber auch auffiel war, dass die Informations- und Lernmöglichkeiten an der HfÖ und andernorts nur von einem Teil der Studentenschaft aktiv genutzt wurden. Im Lesesaal II der HfÖ (der mit dem Giftschrank) sah ich nur gelegentlich, in der Staatsbibliothek, im IPW oder etwa im Französischen Kulturzentrum kaum je bekannte Gesichter – und dies zu einer Zeit großer Unzufriedenheit und wachsenden Wissen-Wollens im Lande.
Aber natürlich war das Studium, wie zu allen Zeiten, nur Anlass und Vorwand. Der wahre Studiosus zeigte sich bei der Bewältigung der mannigfaltigen Freizeitherausforderungen. Über Studentenklub und -fasching brauche ich nicht zu schreiben; da sind Andere ohnehin befugter als ich. Eine ähnliche Bedeutung für die Formung umfassend gebildeter sozialistischer Persönlichkeiten und die Stärkung des Kollektivs hatte das halbe Dutzend Gaststätten, die im Bermuda-Dreieck zwischen Tierpark und S-Bahnhof Karlshorst schäumende Erfrischungsgetränke, teils fragwürdige Kost, aber immer und gute Unterhaltung boten. Dank hochsubventionierter Preise war es möglich, vollkommen autark von Mensa und Wohnheim-Kühlschränken zu leben und vor, zwischen und nach Lehrveranstaltungen heiter-entspannten Kontakt zu geistesverwandten Kommilitonen und Lehrkräften zu pflegen.
Lobend erwähnt werden sollen hier auch die HfÖ-Wohnheime. Diese dienten nicht nur dem schnöden Wohnen; nein, sie waren auch Orte gelegentlich exzessiver Gruppendynamik und boten erforderlichenfalls Nachtasyl für bewegungsunfähig gewordene Jugendfreunde mit abweichender Meldeadresse. Vor allem aber waren sie über Geschlechter-, Semester-, Sektions- und Sprachgrenzen hinweg mehr oder minder diskrete Anbahnungsinstitute für gewisse Stunden; dies trotz der latenten Gefahr standesamtlicher Konsequenzen solcher Ausschweifungen.
Was bleibt
Die Wende, also der in der orthodoxen Theorie nicht vorgesehene Zusammenbruch des Sozialismus in den Farben der DDR mit Salto-Mortale rückwärts ins NSW, traf die HfÖ unvorbereitet. Es rächte sich, dass die HfÖ, anders als vergleichbare Einrichtungen in den Bruderstaaten, in den bleiernen Jahren vor dem Mauerfall keine Denkfabrik für Reformer und neue Ideen gewesen war und dass keinerlei Konzepte für die überfällige wirtschaftspolitische Kehrtwende erarbeitet worden waren. Jetzt war es einfach viel zu spät.
Die meisten Studenten meines Jahrgangs machten 1990-91 noch rasch ihre Abschlüsse und suchten sich ihren Weg auf eigene Faust. Viele blieben in Berlin, manche gingen in die alten Bundesländer oder ganz ins Ausland. In kaum einem Falle wurde der Beruf ergriffen, für den eigentlich studiert worden war.
Und so gab und gibt es viele Karrieren bei Banken, Sparkassen und Versicherungen, in Behörden, Bildungseinrichtungen, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Verlagen und Druckereien, als Außendienstler und Handlungsreisende in der Industrie, Controller, Immobilienverwalter, im Veranstaltungsmanagement und bei einer Partnervermittlung, sowie einen veritablen Botschafter (nicht für, aber in Deutschland). Es wird auch gemunkelt, dass zwei oder drei Absolventen in den Politikbetrieb geraten seien; aber das ist sicher nur üble Nachrede.
Viele der während des Studiums geschlossenen Freundschaften halten bis heute. Fast alle Ehemaligen, mit denen ich sprechen konnte oder die mir geschrieben haben, erinnern sich gerne an unsere gemeinsame Zeit an der HfÖ, auch wenn diese nun zunehmend verblasst und mit der Patina der guten alten Zeit überpudert wird. Non scholae, sed vitae discimus!