Autorin: Susanne Eichler
Dipl. oec. Susanne Eichler (AW 74/5) war nach ihrem Studium im AHB Genussmittel Import-Export als Verkehrsökonomin tätig und hat nach der Wende vielfältige berufliche Herausforderungen gemeistert.
Ich habe mit gerade einmal 18 Jahren angefangen an der HfÖ Außenwirtschaft zu studieren. Hinter mir lag eine wohlbehütete sorgenfreie Kindheit auf einem kleinen Dorf in der Lausitz, 12 Jahre Schule und ein erfolgreiches Abitur. Ich habe gelernt, was alle lernten, Mathe und Deutsch, Chemie und Physik, Geschichte und Staatsbürgerkunde, Sport und Musik.
Mit diesem Wissen, mit diesen Erfahrungen bin ich nach Berlin gekommen. Alles war „nach Plan“ verlaufen. Woran sollte ich zweifeln?
Ich war in die Fußstapfen meines Vaters getreten, der an der HfÖ im Fernstudium vom 1962 bis 1968 sein Diplom erwarb. Es versetzte ihn damals in die Lage, in der DDR als Hauptbuchhalter eines großen Kombinates für die finanziellen Belange Verantwortung zu tragen und nach der Einführung der D-Mark als Prokurist an der Erstellung der Eröffnungsbilanz der LAUBAG beteiligt zu sein. Er war stolz darauf und ich auf ihn.
Von der Plackerei mit der Mathematik und den Treffen in der „Scharfen Ecke“ hat er gern mit einem Lächeln erzählt.
Ich tat beim Studium das, was man von mir erwartete, bereitete mich auf Seminare vor, egal ob Politische Ökonomie oder Naturwissenschaftlicher Grundkurs (NTG), Russisch oder Internationales Wirtschaftsrecht. Schwänzte nur selten die Vorlesungen, besuchte öfter den Studentenclub…
Manche Fächer absolvierte ich erfolgreich, manche nicht ganz so gut. War verheiratet, hatte für kleines Geld mit meinem Mann eine Bude für Ehepaare im Wohnheim A4.
In der Seminargruppe gab es einen Zusammenhalt, der zwar mit der Zeit ein wenig bröckelte, der aber auch nach 40 Jahren nicht ganz verschwunden ist. Wir polterten zusammen oder wanderten, studierten in Lerngruppen und fuhren zum Kartoffeleinsatz.
Sicher habe ich damals das „Kapital“ wie alle studiert und nur zu einem winzigen Teil verstanden. Hätte vielleicht daran zweifeln können, weshalb die Werke von Karl Marx und Lenin einen so breiten Raum einnahmen, während andere Ökonomen und Philosophen selten Platz im Studium hatten. Hätte die Frage stellen können, ob sich der Sozialismus wirklich so entwickeln kann, wie ich es lernte.
Mein Erleben der Studienzeit war insgesamt positiv, da fielen die vier Wochen Zivilverteidigung, die FDJ-Wahlen, die Nachtschichten im Pförtnerhäuschen oder der Kartoffeleinsatz nicht so sehr ins Gewicht. Denn auch einige dieser Veranstaltungen hatten in der Gemeinschaft nette Seiten.
Kurz, woran sollte ich zweifeln?
Nach dem Studium wurde mein Sohn geboren, ich bekam einen Arbeitsplatz im Außenhandel, einen Platz im Kindergarten und ging dem Beruf nach, den ich mir immer gewünscht hatte.
Nach den ersten Berufsjahren kamen mir allerdings hin und wieder Zweifel. Bin ich meiner Arbeit und meiner Funktion als Abteilungsleiter wirklich gewachsen? Muss „gesellschaftliche Arbeit“ so sein, wie sie ist? Aber ich mochte meine Arbeit im Außenhandel und passte mich an.
Ab 1990 brauchte ich mich nicht mehr anpassen, na sagen wir mal, nicht so wie zuvor. Die Marktwirtschaft erwartete mich. Ein Ossi, der andere Ossis mit deren Befindlichkeiten kennt und mit ihnen umgehen kann, ist nützlich.
Dipl.-oec. – was ist das? Welchen Beruf haben Sie erlernt? Darf man diesen Titel überhaupt noch tragen, noch dazu, wenn man ihn an der HfÖ erworben hat? Der Job, den ich machte, war, an Zahlen gemessen, nicht schlecht. Doch als die oberste Schicht Sahne abgeschöpft war, brauchte man nicht mehr so viele Leute, es wurde zentralisiert…
Ich habe seitdem an verschiedenen Stellen gearbeitet und mit der wachsenden Erfahrung wuchsen die Zweifel. Zweifel über Werte in der Gesellschaft, über Recht und Unrecht…
Das „Kapital“ steht noch bei mir im Bücherschrank, ich habe beim Blättern darin Gedanken wiederentdeckt, die das Erlebte vorausschauend darlegten
Vor einigen Jahren konnte ich Kollegen mit dem (zugegebenermaßen stark reduzierten) Wissen über INCOTERMS und Akkreditive überraschen. Wer weiß schon heute noch, was bei einem Löffel die Laffe ist und wie sie hergestellt wird? Und aus den vielen Russischseminaren ist viel mehr als nur das Wissen um „Dostoprimetschatjelnosti“ und das Rezept für den Karpfen „Schmidtowa“ zurückgeblieben.
Ja, unzweifelhaft habe ich an der HfÖ eine Menge gelernt, Fachwissen und soziales Miteinander. Die HfÖ ist Teil meines Lebens, den ich nicht missen möchte und auch nicht verstecken. Die Zweifel haben sich mit dem Lebensalter und dem Erlebten eingeschlichen.
Wenn es heute noch Poesiealben gäbe – es wäre ein gutes Motto – „De omnibus dubitantum est“ und „Stelle Fragen!“
Das zustimmende Kopfnicken ist bequemer (für wen?), man scheint wissender und macht sich Freunde. Bringt es voran? Jeder darf für sich entscheiden, was ihm wichtig ist.
Wichtig scheint mir – wie bringe ich meine Zweifel vor und vor allem- wie gehe ich mit den Zweifeln andere um!
Es ist eben – an allem zu zweifeln!
P.S. Zweifelsfrei ist das Treffen (und der Gedankenaustausch, für den uns Corona nun, wenn auch unfreiwillig, mehr Zeit gibt) eine tolle Idee. DANKE.