„Meine Meinung habe ich über verschiedene
Dinge in meinem Leben oft geändert und
hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand
erhält, noch mehrmals zu tun. Es freut mich
immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn
so komme ich in meinem Wissen vorwärts.
Ich halte den für einen Toren, der in
Erfahrungssachen seine Meinung
zu ändern nicht geneigt ist.“
Albrecht Daniel Thaer (1752-1828)
Autor: Eberhard Merten
Dr. Eberhard Merten (AW 67/1) war nach dem Studium 2. Sekretär der HSGL der FDJ und hat dann an der Sektion Außenwirtschaft erfolgreich promoviert. In den Jahren 1980 bis 1990 wirkte er als Direktor für Internationale Beziehungen. Durch die intensive Betreuung ausländischer Studierender und Aspiranten sowie die Pflege vielfältiger Kontakte zu Universitäten und Hochschulen in vielen Ländern der Welt hat er zur internationalen Verbreitung des Renommees unserer Hochschule beigetragen.
An allem ist zu zweifeln ,,,
… auch an dem, was wir und wie wir „es“ – das „Was“ – an der HfÖ „gemacht“ haben – als Wissenschaftler gelehrt und geforscht, als Student studiert, als Jungakademiker promoviert oder habilitiert wurden, was für eine Gemeinschaft wir waren (oder meinten zu sein) – wie wir in FDJ, SED, FDGB, GST, DSF, Kulturbund, HSG, Feuerwehr, Kabarett, Singegruppe, Studentenclub, ISK …. unser Gemeinschaftsleben gestaltet haben.
Ja – auch daran darf und muss gezweifelt werden. Wenn wir es damals nicht genug taten, uns nicht trauten, nicht durften oder nicht sollten oder manche auch nicht konnten – dann sollten wir es vielleicht jetzt – mit einem Abstand von 30, für andere schon von fast 70 Jahren – tun.
Warum zweifeln? Weil man sich mehr Klarheit verschafft, weil man für das eigene Denken und Handeln Bestätigung findet oder sein eigenes Denken und Handeln kritisch sieht – und aus beidem Lehren zieht? Weil man sieht, wie viel Vernünftiges man getan hat und wie viel „Mist“ (um es nicht drastischer zu sagen) man gemacht oder mitgemacht hat, ohne zu hinterfragen.
Warum vielleicht lieber nicht zweifeln? Vielleicht, weil wir Angst haben vor dem Ergebnis des Zweifelns und uns das Ergebnis des Zweifelns nicht gefällt? Weil wir über unsere eigene Rolle in dem Organismus HfÖ nachdenken müssten und zu damals wie heute unbequemen Wahrheiten kämen?
Ich weiß, dass ich mittlerweile viel mehr zweifle als zu meiner Zeit an der HfÖ (23 Jahre insgesamt), und mit dem Abstand von 30 Jahren heute zu anderen Ergebnissen komme, als ich damals kommen konnte (vielleicht auch wollte). Und ich versuche, alles immer auch in die Zeit einzuordnen, in der ich gelebt habe. Nicht als Entschuldigung, sondern zum besseren Verstehen. Ich werde meine Gedanken nicht für mich behalten, gern mit anderen diskutieren, wenn ich sie denn mal niedergeschrieben habe – auch gern hier. Aber eins vorweg dazu – ich möchte – gerade auch mit den Erfahrungen der letzten 30 Jahre – meine HfÖ-Zeit nicht missen.
Ich weiß, dass auch viele andere zweifeln. Jeder kommt zu seinem persönlichen Ergebnis. Ich weiß, dass sehr sehr viele ihre Zeit an der HfÖ nicht missen möchten – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Und ich kenne auch ehemalige Studenten und Mitarbeiter, die ihre Zeit an der HfÖ am liebsten aus ihrer Vita verschwinden lassen würden, die heute sagen, sie hätten an der HfÖ nichts gelernt, die die HfÖ nur als „stalinistische Hochburg“ sehen. (Über Stalinismus an der HfÖ sollte natürlich auch gesprochen werden – selbstkritisch und kritisch und natürlich auch darüber, dass es eben nicht nur diese Seite gab an der HfÖ.)
Ich habe bisher nicht von einem Fall gehört oder gelesen, dass jemand den „Dipl. oec.“ oder den „Dr. oec.“ vor oder nach dem
9. November 1989 zurückgegeben hat mit der Begründung, die akademischen Grade seien nix wert oder sie seien unter stalinistischem Zwang erworben worden. Alle Absolventen tragen ihren an der HfÖ erworbenen akademischen Titel, und das finde ich gut so. Also müssen die Titel doch, trotz aller Kritik, allen Trägern etwas wert sein.
Und gut fände ich auch, wenn sich noch mehr „HfÖler“ kritisch und/oder lobend zu Wort melden würden. Hier auf unserer Website haben wir Gelegenheit dazu. Wir alle können nur daraus lernen.
Während unserer Veranstaltung am 23. Oktober 2021 haben wir dafür viel zu wenig Zeit – da sollten wir uns über unser Wiedersehen freuen und „einfach nur quatschen“.