Autor: Eberhard Drechsel
Prof. Dr. sc. Eberhard Drechsel hat die HfÖ zweimal erlebt: Zuerst von 1960 bis 1964 als Student in der Fachrichtung Industrieökonomie und ab 1972 als Hochschullehrer auf dem Gebiet Spezielle Planung.
An der HfÖ eröffnete sich für mich 1972 eine neue wissenschaftliche Perspektive. Der Wirtschaftsgeschichtler Prof. Alfred Schröter, der im Auftrag des Ministerrates die Abteilung Spezielle Planung aufbaute, suchte wissenschaftliches Personal. Ein wichtiger Grund für meine Entscheidung war sicher auch, dass ich nach Abschluss der Arbeiter- und Bauern-Fakultät 1960 an der HfÖ in der Fachrichtung Industrieökonomie studierte und beste Erinnerungen an mein Studium hatte. Hervorragende Hochschullehrer, wie Prof. Helmut Koziolek, Prof. Gerd Friedrich u. a. führten uns systematisch in die Grundlagen der ökonomischen Wissenschaft ein und sensibilisierten mich auch für eine wissenschaftliche Tätigkeit. Ich erinnere mich gern an eine bildende und frohe Studentenzeit, für die die Campusanlage der Hochschule günstige Bedingungen schuf. Dazu gehörten auch der Sport in der HSG „Wissenschaft Karlshorst“ und die verschiedenen Arbeitseinsätze. Zudem war ich Mitbegründer des FDJ-Studentenclubs. Unser Slogan in der Hochschule hieß damals: „Industrie ist eine Macht“, mit der wir uns gegenüber den anderen in der Regel größeren Fakultäten, wie z. B. Außenhandel, zu behaupten suchten.
Die Einführung des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) 1963/64 in der DDR, manchmal auch als „sozialistische Marktwirtschaft“ kolportiert, die im letzten Studienjahr ausführlich unseren Lehrplan und die Staatsexamen bestimmte, wurde für mich damals zum vermeintlichen Wegweiser für eine hoffnungsvolle Zukunft als Diplomwirtschaftler.
Eine kleine Episode veranschaulicht die damals wohltuende freundliche Atmosphäre zwischen Hochschullehrern und Studenten. Im kalten Januar/Februar 1964 musste der Betrieb an der Hochschule zeitweise wegen fehlendem Heizmaterial eingestellt werden. Da ich an der Hochschule im Arbeitseinsatz verblieben war, kam mir der Gedanke einige Staatsexamen auf bereits abgeschlossenen Lehrgebieten vielleicht in den Februar vorzuverlegen, um den Prüfungsstress im Sommer abzumildern. Ich befragte einige Professoren, die meinem Anliegen positiv zustimmten, wenn eine Gruppe von ca. 20 Studenten zusammenkommen würde. Nun hatte ich es in der Hand die Prüfungswilligen aus unserer und anderen Seminargruppen zu aktivieren, was gut gelang. Alle Teilnehmer dieser zwei Staatsexamina im Frühjahr bestanden die beiden schriftlichen und mündlichen Prüfungen und waren gut für den Sommer gerüstet. Der Schnelle schlägt den Langsamen, dachten wir schon damals.
Nach dem Studium arbeitete ich zwei Jahre an der Deutschen Investitionsbank, bevor ich 1966 als wissenschaftlicher Assistent zum Institut für Gesellschaftswissenschaften, Lehrstuhl Politische Ökonomie, wechselte. Dort promovierte ich 1970 zu Fragen gesetzmäßiger Tendenzen der Entwicklung von Produktivität und Effektivität. Nicht unwesentlich beeinflusst haben mich in dieser Zeit die geleisteten Zuarbeiten zu den damals erarbeiteten Buch: „Politische Ökonomie und ihre Anwendung in der DDR“, dessen Ansatz später politisch nicht mehr opportun erschien. Nach meiner erfolgreichen Promotion arbeitete ich zu Fragen der Modernisierung der Wirtschaft durch die Stärkung ihrer inneren Triebkräfte, was meine weitere wissenschaftliche Profilierung befördern sollte. Es kam anders als geplant.
Vorausgegangen war dazu ein Gutachten im Auftrag der Staatlichen Plankommission (SPK) zum Entwurf des damaligen Fünfjahrplanes 1971 bis 1975, bei dem ich in Anwendung meiner Forschungsergebnisse die darin enthaltene Entwicklung der Arbeitsproduktivität und Effektivität zu bewerten hatte. Diese waren von mir als zu gering eingeschätzt worden. Des Weiteren wurde ich 1971 Mitglied in einer Expertenkommission, die im Auftrag der Regierung Experimente zur Wirtschaftsreform in der Sowjetunion vor Ort studierte, um daraus Schlussfolgerungen für die DDR abzuleiten. Als wir zurückkamen wurden zu unser aller Verblüffung unsere Unterlagen sofort als vertraulich eingestuft und mussten abgegeben werden. Es durfte nichts publiziert werden. Der Forschungsansatz zur Modernisierung der Wirtschaft wurde kommentarlos ein- und ich sofort „freigestellt“. Ich war damals wohl noch zu naiv, die politischen Klippen eines solchen Reformansatzes zu übersehen. Das NÖS war vergessen. Wie in der Sowjetunion hatte sich die Führung in der DDR für einen anderen Weg entschieden.
In dieser für mich unerwartet sehr schwierigen Situation bot die Hochschule eine Chance, meine wissenschaftliche Arbeit auf einem anderen ökonomischen Feld, dem bisher wenig entwickelten Gebiet der Speziellen Planung, fortzusetzen zu können. Für diesen Bereich gab es in der Wirtschaft und den Staatsorganen einen großen Aus- und Weiterbildungsbedarf, nicht zuletzt für die Katastrophenstäbe in den verschiedenen Ebenen der staatlichen Organe.
Das Vorausdenken von plötzlich eintretenden Ereignissen und deren mögliche Auswirkungen für die Menschen und die Gesellschaft sowie die Prävention und rationale Vorbereitung darauf erforderte mehr denn je eine wissenschaftliche Ausbildung und Expertise.
Das Ausbildungsspektrum an der Hochschule erweiterte sich damit um eine neue Facette in Richtung Sicherheit und ziviler Vorsorge. Die Abteilung wurde in die 1986 neu gegründete Sektion Militärökonomie eingegliedert. Es wurden insgesamt 20 Jahre erfolgreicher wissenschaftlicher Arbeit und Entwicklung mit einem regen internationalen wissenschaftlichen Austausch. 1990 nahm ich auf Einladung am 1. Weltkongress für Sicherheitswissenschaft in Köln teil.
Noch vor der Abwicklung der Hochschule besuchte ich 1991 einige Lehrgänge ähnlicher Weiterbildungseinrichtungen in den alten Bundesländern. An einer dieser Akademien bot mir der damalige Präsident an, dort bei ihm als Dozent zu arbeiten. Wie vorhersehbar konnte er nach einigen Tagen sein Angebot nicht einhalten, weil es – wie er sagte – vertrauliche Beschlüsse in Bonn gäbe, die die Besetzung solcher Positionen mit Ostdeutschen ausschließe würden. Ein anderer Beleg für die aus politischen Gründen besorgte Abwicklung der HfÖ, nicht zuletzt wohl auch leider zum Schaden der Gesellschaft wie Experten aus den alten Bundesländern wissen ließen.
Auf Grund unserer Studien und Veröffentlichungen zur Konversion in den neuen Bundesländern konnte ich 1994 auf Einladung des russischen Zentralinstituts für die Weiterbildung der Kader aus dem Luft- und Raumfahrtkomplex eine Dozentur zu Fragen der Konversion mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) wahrnehmen. Zurückgekehrt arbeitete ich dann als freiberuflicher Wirtschaftsberater. Mit Bekannten gründeten wir die „Robotron International Consult“ GmbH. Zudem war ich einige Jahre Vizepräsident des Bundesverbandes der Wirtschaftsberater (BVW), arbeitete bis 2002 im Rahmen der GroupEuro der EU zur Einführung des Euro für kleine und mittlere Unternehmen mit. Bis 2018 erfüllte ich nebenher mehrere Jahre Lehraufträge an der Universität in Szczecin.