Autor: Dieter Knoch
Dr. Dieter Knoch (Jahrgang 1936) hat von 1954 bis 1958 in der Fachrichtung Industrieökonomik studiert und kommt rückblickend auf sein Leben in zwei Systemen zu der Feststellung, dass er die Entscheidung für ein Studium an unserer Hochschule für Ökonomie nie bereut hat.
Mein Weg an die Hochschule war etwas ungewöhnlich. Als Abiturient der Kreuzschule Dresden hatte ich mich 1954 an der Technischen Hochschule Dresden für ein Studium der Chemie beworben, wurde aber wegen der sozialen Herkunft abgelehnt, beide Elternteile waren kaufmännische Angestellte. So begann das Studienjahr am 1. September ohne mich. Ich saß schon 14 Tage resigniert zu Hause, als mein Vater mir die Hochschule für Planökonomie in Berlin empfahl, die in der Zeitung noch Studienplätze anbot. Ich fuhr also hin und wurde vom Prorektor Prof. Sachse freundlich empfangen und nach Einsicht in die Zeugnisse zum Studium der Industrieökonomik ermuntert. Ich fuhr also zurück nach Dresden, holte meine Siebensachen und zog ins Internat Haus 3 ein, für die nächsten 4 Jahre mein Zuhause.
Meine Mutter erzählte ihrer Freundin vom Studium der Ökonomie, worauf diese fragte: „Der Dieter will wohl Pfarrer werden?“ Sie hatte Ökonomie und Ökumene verwechselt.
Das Studium gestaltete sich anfangs etwas hektisch, denn ich hatte 14 Tage Rückstand beim Studium des „Kapital“ von Marx, was zuerst durchgeackert werden musste. So gab es Höhen und Tiefen, viel Selbststudium und viele Ereignisse, die im Gedächtnis geblieben sind.
Sehr angetan war ich von den jährlichen Praktika in Industriebetrieben, um „Kontakt zur Arbeiterklasse“ herzustellen und in der Praxis zu lernen. Gute Erinnerungen habe ich an die Faschingszeiten an der Hochschule, an die Arbeitseinsätze im Tierpark und an die Ernteeinsätze in der Landwirtschaft. Viel Spaß machte die Komparserie bei den Dreharbeiten zum ersten Thälmannfilm, wo wir als „Reichswehrangehörige“ die Aufgabe hatten, uns von demonstrierenden Arbeitern verprügeln zu lassen.
1954: Studenten der Fachrichtung Industrieökonomik als Komparsen im Film „Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse“ (knoch)
So war das Studium nicht nur graue Theorie, sondern auch buntes Leben in dieser noch schweren Zeit des Wiederaufbaus nach dem Kriege. Eine große Rolle spielte dabei, dass wir ohne materielle Sorgen studieren konnten – Unterkunft und Verpflegung waren sehr preisgünstig und vom Stipendium gedeckt. Davon können heutige Studierende nur träumen!
Es gab aber auch unschöne Ereignisse, die aus dogmatischen Haltungen Einzelner in dieser Zeit resultierten. So hatte ich 1955 beim Praktikum in der Gießerei und Maschinenfabrik Lichtenberg (hier war ich im Formenbau tätig) das Angebot eines Freundes, für 50 Mark beim Entladen von Ziegeln für den Hausbau zu helfen. Der Meister im Formenbau hatte Verständnis und ließ mich vorzeitig gehen. Da muss mich ein Mitpraktikant verpfiffen haben. Es gab ein studentisches Ehrengericht, den Vorwurf kleinbürgerlichen Verhaltens mit Gelderwerb und als Strafe über die Hochschulleitung den Entzug des Leistungszuschlages zum Grundstipendium für das 2. Studienjahr von monatlich 45 Mark. Bei Wiederholung drohte Exmatrikulation. Das tat schon weh, denn ich hatte ja als Abkömmling von Angestellten nur 145,- Mark Grundstipendium im Monat. Nun, wie das Leben so spielt: Der Vorsitzende des Ehrengerichts, ein Mitstudent, war später Abteilungsleiter im ZK der SED. Während einer gemeinsamen Kur Jahrzehnte später schlug ich ihm vor, mir das entzogene Leistungsstipendium nachzuzahlen, jedoch ohne Erfolg.
Nun hat mir dieses Ereignis im weiteren Studienverlauf nicht weiter geschadet. Im nächsten Jahr bekam ich mein Leistungsstipendium. 1958 habe ich diplomiert und 10 Jahre später außerplanmäßig aus der Praxis bei Prof. Sachse promoviert. Nach den Prüfungen sind wir Ende Juli 1958 in das praktische Leben entlassen worden.
Beruflich begann ich im Reifenwerk Fürstenwalde, zuerst ein halbes Jahr in der Produktion, wurde dann in die VVB (Vereinigung Volkseigener Betriebe) Gummi und Asbest versetzt, wo ich als Arbeitsökonom und zuletzt als Direktor für Ökonomie arbeitete. 1969 wurde ich in das Ministerium für Chemische Industrie berufen und 1976 bis 1989 als Stellvertreter des Ministers eingesetzt. Ich war verantwortlich für Perspektiv- und Jahresplanung, Finanzen, Preise, Arbeit und Löhne sowie Sozialwesen. Meine fachlichen Partner in den Kombinaten der chemischen Industrie waren die Ökonomischen Direktoren, die Hauptbuchhalter und Sozialdirektoren (gab es in den Großkombinaten der Grundchemie). Viele waren auch Absolventen der Hochschule, wodurch sehr konstruktive und kollegiale Arbeitsbeziehungen bestanden. Meine solide Ausbildung an der HfÖ war die Grundlage, diese Anforderungen zu erfüllen.
Die Ausbildung und meine praktischen Erfahrungen halfen mir, auch die Wendezeit zu überstehen und mich beruflich neu zu orientieren. Ich bewarb mich bei einem Privatbankhaus in Berlin, wurde aus 74 Bewerbern ausgewählt und bereits 1991 als Prokurist und Direktor im Firmenkundengeschäft eingesetzt.
Jahre später leitete ich eine private Holdinggesellschaft mit Unternehmen aus Industrie, Bauwesen, Großhandel und der Hotelbranche als Geschäftsführer. 2001 ging ich gesetzeskonform in Rente, bin aber noch bis heute ehrenamtlich tätig.
So kann ich auf mein Leben rückblickend feststellen, die Entscheidung für ein Studium an der HfÖ war damals richtig und ich habe sie nie bereut. Es war die Grundlage meiner gesamten beruflichen Entwicklung in zwei Systemen. Auch menschlich war die Hochschule ein Gewinn. Durch das gemeinsame Studium und das Zusammenleben im Internat wurden Freundschaften begründet, die ein Leben lang hielten und auch im Berufsleben förderlich waren. So hat sich unsere Seminargruppe I/3 seit 1958 insgesamt 28 Mal wiedergetroffen, seit der Jahrtausendwende sogar jährlich bis heute, wenn auch der Teilnehmerkreis immer kleiner wird. Das 50-jährige Jubiläum des Studienabschlusses feierten wir 2008 in Berlin, verbunden mit einem Besuch, einer Besichtigung und einem Seminar am Standort der Hochschule in Karlshorst. Es war für alle Teilnehmer ein schönes Erlebnis.