Autor: Andreas Dietrich
Dipl. oec. Andreas Dietrich (LIS 72/1) hat von 1972 bis 1976 an der HfÖ studiert und ist heute noch froh, dass es mit der Immatrikulation an der Humboldt-Universität nicht geklappt hatte.
Für viele Studenten war das Studium an der Hochschule für Ökonomie und in dieser Zeit wahrscheinlich lebensprägend, so auch für mich. Als vorimmatrikulierter Student an der Humboldt Universität in den Studienrichtungen Jura oder Kriminalistik musste ich plötzlich auf Grund „höherer Entscheidungen“ eine mathematisch orientierte Studienrichtung an der HfÖ belegen. So kam es, dass ich 1972 das große Glück hatte, nach meiner dreijährigen Armeezeit an der Sektion Leitung, Informationsverarbeitung und Statistik (LIS) immatrikuliert zu werden.
Aber schon nach der ersten Matheprüfung wollte ich gleich wieder nach Hause, denn die Studenten der Sektion LIS mussten zu Beginn ein Unitutor-Programm Mathematik absolvieren. Meine Kommilitonen haben das, wenn ich mich recht erinnere, alle ganz gut geschafft. Als ich an der Reihe war, habe ich zunächst überhaupt nicht verstanden, was die mich da auf dem Bildschirm fragten, aber ich dachte, Antwort B sieht gut aus.
Böser Fehler, ein Signal erklang und die roten Lichter gingen an; alle schauten zu mir -und auf dem Monitor stand: Bitte melde Dich umgehend bei der Aufsicht. B war wahrscheinlich eine von der mathematischen Realität völlig auszuschließende Antwort. Ich habe dann ein Jahr gebraucht um mathematisch in etwa zu meinen Kommilitonen aufzuschließen.
Ebenso prägend waren für mich natürlich auch die „produktiven“ Zeiten im Studentenclub, zu meiner Zeit mit der Familie Weber als Gastwirte und Jörg Stempel (AW 66/3) als Club-Chef. Da sitzt du als Student im ersten Studienjahr im Club mit anderen, schon älteren „Studenten“ (oft auch im Blauhemd) zusammen, und dann kommen diese Kerle am nächsten Tag in dein Seminar als Lehrer herein, Gernot Zellmer (damals noch Dr.) und Dr. Frank Haustein, und du versuchst, dich zu erinnern, was du gestern Abend für einen Quatsch erzählt hast.
Die vier Jahre an der HfÖ waren für mich ein Spiegelbild der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse; so z. B. der Stolz auf die Anerkennungswelle der DDR oder auch 1973 die Durchführung der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin. Und im Studium haben wir versucht, diese gesellschaftlichen Verhältnisse zu beweisen und zu begründen. Das ist uns natürlich nicht immer gelungen.
Für uns als LIS-Studenten hieß das z. B., die Gestaltung volkswirtschaftlicher Verflechtungsbilanzen an Hand von Gleichungssystemen mit unendlich vielen Nebenbedingungen, als Block-Angulare Strukturen zu beschreiben. Prof. Zellmer möge mir diese sehr verallgemeinernde Beschreibung verzeihen.
Wie dem auch sei, wir haben in den vier Jahren gelernt zu analysieren, Zusammenhänge zu erkennen und Lösungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen, um dann zu entscheiden.
Lebensprägend heißt aber auch, dass ich hier an der HfÖ eine Menge gleichgesinnter Menschen kennengelernt habe. So war meine Seminargruppe LIS 72/1 eine kleine verschworene Gemeinschaft, mit Höhen und Tiefen, mit Bergfest, Ausfahrten und gemeinsamer Forschungstätigkeit.
1976: LIS 72/1 beim Hochschulfasching (dietrich)
Der dreitägige Fasching stand unter dem Motto
„Märchen vom Römerweg“
Findest du Andreas auf dem Foto?
Hier hatte ich auch meine Frau Brigitte kennengelernt, und wir haben noch während der Studienzeit geheiratet (Nein, nicht wegen des Ehekredits). Leider ist sie vor anderthalb Jahren an Krebs gestorben, sie hätte dieses Jubiläum gern mit uns gemeinsam gefeiert.
Nicht unerwähnt lassen, möchte den positiven Einfluss meiner Kameraden aus dem Wohnheim A4 und aus der gemeinsamen Tätigkeit in der HSGL der FDJ, also Eberhard Merten (AW 67/1), Achim Reipert (AW 70/2), Klaus-Peter Thiel (AW 70/2) und Wolfgang Hübner (AW66/2), mit denen ich auch heute noch z. B. über unser damals gemeinsam erschlossenes Wochenendgrundstück verbunden bin.
Das besondere Gefühl der Kameradschaft und der Solidarität habe ich in meiner Funktion als FDJ-Vertreter im Internationalen Studentenkomitee besonders mit unseren zypriotischen Freunden, Kyriacos Kazamias (AW 72/1) und Kyriacos Nikolaidis (AW 70/3), erleben dürfen, als die Türkei 1974 die Hälfte der Insel Zypern völkerrechtswidrig okkupiert hatte. Für die beiden lag ihr Zuhause nun plötzlich in einem besetzten Land. Durch eine Vielzahl von Aktionen konnten wir den beiden Mut machen, so dass sie nach ihrem Studienabschluss bzw. ihrer Promotion in den nicht besetzten Teil von Zypern zurückkehren konnten, wo sie in führenden staatlichen und nichtstaatlichen Funktionen, sowie in der EU die Liebe zu ihrer Heimat unter Beweis stellen konnten. Ich habe heute noch guten Kontakt zu ihnen.
Insofern war die Studienzeit an der HfÖ für mich lebensprägend, denn mein mögliches Studium an der Humboldt-Universität wäre ein völlig anderer Ansatz gewesen. Die an der HfÖ gesammelten Erfahrungen und das vermittelte Wissen haben mir als IT-Fachmann bis zur Wende und nach der Wende bis heute das notwendige Rüstzeug gegeben im täglichen Leben zu bestehen.
Dafür liebe Lehrkräfte, Kommilitonen und Kameraden mein herzlichster Dank.