Autor: Peter Staude
Peter Staude (LIS 70/4) hat an der Hochschule für Ökonomie (HfÖ) Wirtschaftsinformatik studiert und war vor und nach der Wende als Exportkaufmann tätig. Er schildert, wie er mit seinen Kommilitonen während des Studiums aufkommende Hunger- und Durststrecken erfolgreich bewältigt hat.
Es ist kein Geheimnis, dass Studenten unter finanziellen Nöten leiden und deshalb zur Selbsthilfe greifen, um über die Runden zu kommen und sich das eine oder andere leisten zu können.
Das betraf schon einige Kommilitoninnen, deutlich mehr aber Kommilitonen der HfÖ in den vier Jahren Direktstudium in Karlshorst. Das war auch der Hochschulleitung nicht verborgen geblieben, die mit offiziellen Angeboten das Leiden linderte. So konnte man sich als ungelernter Pförtner oder ungelernter Heizer im hochschuleigenen Heizhaus inklusive Kohlebunker ein paar hilfreiche Mark sowie Anerkennung dazuverdienen. Die Einsätze im Heizhaus waren besonders interessant, da es vor allem um die Transporte von Briketts und Koks vom Bunker in die Öfen ging, also 100% Handarbeit mit viel Kohlestaub und oft unerträglicher Hitze. Ein Schornsteinfegertageseinsatz war gar nichts dagegen, aber das finale Duschen eine Wonne!
Ganz anders sah es jedoch aus mit den hochschulfernen, nicht erlaubten Arbeitseinsätzen in Berliner Betrieben unterschiedlichsten Couleurs. Liebling Nr. 1 war das Werk für Fernsehelektronik (WF) in Schöneweide, wo Fernseh-Bildröhren hergestellt wurden und ausschließlich in den Nachtschichten Studenten für stolze 30 bzw. sogar 40 Mark für Hilfsarbeit am Fließband gesucht wurden. Nicht viel anders waren die vorwiegend nächtlichen Arbeitseinsätze bei NARVA, bei der Deutschen Post, bei der Deutschen Reichsbahn auf dem Wriezener Bahnhof etc., wo auch Hilfsarbeit am Fließband oder bei der Entladung von Südfrüchten aus ungekühlten gewöhnlichen Güterwaggons anstanden. Wir stopften uns den Bauch mit Weintrauben, Pfirsichen, Aprikosen etc. voll, durften aber nichts einpacken und mitnehmen.
Die genehmigten Arbeitseinsätze mit der gesamten Seminargruppe (wie z. B. in der Schokoladenfabrik Elfe Weißensee und bei der Kartoffelernte in der LPG Ihlow bei Strausberg) hatten jedoch das Gemeinwohl zum Ziel, dauerten je eine Woche und wurden zur Finanzierung gemeinsamer kultureller Programme verwendet.
Es war schon eine tolle Sache, so den kleinen studentischen Geldbeutel wieder zu füllen, der ja in meinem Fall nur mit 205 Mark (190 Mark + 15 Mark Großstadtzuschlag Berlin abzüglich Internatsmiete) monatlich gefüllt war und hinten wie vorne nicht reichte. Aber nicht jede/r Student/in hatte überhaupt ein Stipendium (abgesehen von einem möglichen Leistungsstipendium) bzw. eine elterliche Unterstützung!
Wir als Studentinnen/Studenten der Ökonomie haben aber mit dieser anrüchigen „Schwarzarbeit“ (außer der Arbeit in der HfÖ) gegen die Gesetze der sozialistischen Volkswirtschaft verstoßen, was uns unsere Professoren möglicherweise nur theoretisch, nicht aber für den sozialistischen Arbeitsalltag vermittelt hatten. Wir befanden uns also stets in einem ideologischen Konflikt, der sogar in einem bekannten Fall eskalierte. Das WF schickte nämlich ein Belobigungsschreiben an die Hochschulleitung für einen besonders aktiven und zuverlässigen Studenten, der sich daraufhin mit einem Disziplinarverfahren und der Androhung auf Exmatrikulation auseinanderzusetzen hatte. Hier war etwas schief gelaufen!
Wir Internatsstudenten, die im Studentenwohnheim in der Hans-Loch-Str. 261 vier Jahre zusammenwohnten, halfen uns selbstredend solidarisch untereinander. Das betraf alle möglichen Lebensbereiche – vor allem aber, wenn es um lebensnotwendige Dinge wie Essen und Getränke ging, aber auch um die Eintrittskarte zum HfÖ-Studentenclub Römerweg (von uns eigenhändig mit auf- und ausgebaut) und um den so beliebten Durststiller Bier. Das Bier hatte es uns allen angetan, denn der permanente Durst beim Studieren der trockenen Literatur forderte auch seinen finanziellen Tribut – egal ob beispielsweise in der Scharfen Ecke Karlshorst, im HfÖ-Studentenclub, in der U-Bahn-Quelle Friedrichsfelde oder im im Passage-Restaurant Friedrichsfelde. Vielleicht lebe ich deshalb auch seit über 30 Jahren mit einer gestandenen Braumeisterin zusammen, die etwas von Bierherstellung und dem Genuss in Maßen (nicht zu verwechseln mit Maßkrügen) versteht!
Beim Vorverkauf der Essenmarken hörte der Spaß allerdings auf, da oft der Geldbeutel leer war und der Magen mittags zu knurren begann. Die Lösung war ganz einfach, nämlich als Zweiter oder sogar Dritter mit dem benutzten Teller des Kommilitonen einen Nachschlag (leider ohne Fleisch) an der Ausgabetheke zu holen. Diesen tollen „Neurervorschlag“ haben wir jahrelang erfolgreich praktiziert und so die Hungerstrecke bis zur nächsten Stipendienzahlung, Barzahlung aus einem Arbeitseinsatz oder Kreditgewährung eines Kommilitonen überstanden.
Den freundlichen und hilfsbereiten Küchendamen der Mensa habe ich am letzten Tag meiner Anwesenheit ein offizielles Dankeschön ausgesprochen und ein großes Pralinenpräsent mit Blumen überreicht. Sie haben sich alle sehr gefreut!
Die zahlreichen gegenseitigen Kreditgewährungen im Monat waren jedoch unter guter optischer Kontrolle. Derjenige mit der höchsten Verschuldung erhielt automatisch die sogenannte „Rote Laterne“, um den Überblick nicht zu verlieren und weitere Neuverschuldungen zu vermeiden.
So haben wir das Finanzieren unseres einfachen, aber erlebnis- und abwechslungsreichen Studentenlebens an der HfÖ und im Internat organisiert, manchmal hungrige und vor allem durstige Tage überstanden, den trockenen Lehrstoff der Ökonomie mit Leben erfüllt und das Studium schließlich mit viel Spaß erfolgreich beendet.