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Vor 30 Jahren: Abwicklung einer „Kaderschmiede“

Autor: Gernot Zellmer

Prof. Dr. Gernot Zellmer studierte von 1962 bis 1967 in Leningrad (Sankt Petersburg) Ökonomische Kybernetik und hat danach bis 1991 an der Hochschule für Ökonomie gelehrt und geforscht. Er war auf verschiedenen Ebenen haupt- und ehrenamtlich gesellschaftlich aktiv.

T-Shirts mit diesem Logo trugen die Gäste der letzten Disco im HfÖ-Studentenclub am 30. September 1991 (husten)

Am 1. Oktober 1991, kurz vor ihrem 41. Geburtstag, wurde die Hochschule für Ökonomie aufgelöst.

In dem im Jahre 2013 in 2. Auflage erschienenen Buch „1950 – 1991 Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“ Berlin: Leistungen und Defizite in Lehre und Forschung / Persönliche Erfahrungen und Erinnerungen / Herausforderungen an die Wirtschaftswissenschaften“ hat Prof. Walter Kupferschmidt (1931 – 2019) die damaligen Ereignisse kommentiert (S. 32f., Hervorhebungen: G.Z.)

Ungeachtet ihrer Leistungen, ihrer internationalen Reputation und ihres wissenschaftlichen Potentials wurde die HfÖ nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland als eine nicht zum westdeutschen Wissenschaftssystem passende Einrichtung eingestuft, als politisch nicht systemkonforme Institution abgewickelt und zum 01.10.1991 aufgelöst. Im Vertrag zur deutschen Einheit Art. 38 (1) ist zwar die Rede von der „notwendigen Erneuerung von Wissenschaft und Forschung unter Erhalt leistungsfähiger Einrichtungen“ auf dem Gebiet der DDR. Es sollte nicht nur um die Angleichung der ostdeutschen Wissenschaftsstruktur an die in der Bundesrepublik vorhandenen Strukturen und Inhalte gehen, sondern um eine Reform des Hochschulwesens als Ganzes. Eine solche Interpretation des Einigungsvertrages wurde bezogen auf die HfÖ wohl nie in Betracht gezogen.
Zum Zeitpunkt des Senatsbeschlusses lag weder die in Auftrag gegebene Begutachtung der Wissenschaftseinrichtungen der DDR vor, noch hatte die von der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung berufene Kommission ihre Vorschläge für eine Hochschulstrukturplanung unterbreitet (diese hatte der HfÖ lediglich einen informellen Blitzbesuch abgestattet). Einzige Grundlage des Abwicklungsbeschlusses war ein Gutachten eines Schweizer Hochschulprofessors (ein Professor für Zoologie mit dem Schwerpunkt Entwicklungsbiologie, der sich im Auftrag der Schweizer Regierung auch mit Wissenschaftspolitik beschäftigte). Er wollte „Ideen für eine Neuordnung“ vorstellen und „Fehlentwicklungen in beiden Teilen Berlins korrigieren helfen“. Er kam zu dem Schluss, dass es in Westberlin nichts zu korrigieren gäbe (außer bedenklich ausufernde Demokratisierungstendenzen in der Leitung der Universitäten) und unterbreitete Vorschläge zur Angleichung der ostdeutschen Wissenschaftsstruktur an in Westberlin vorhandene Strukturen und Inhalte. Chancen für neue zukunftsträchtige Strukturen wurden angesichts der „ostdeutschen Wissenschaftswüste“ nicht gesehen.[1]
Gegenteilige Auffassungen, selbst von namhaften Wissenschaftlern der Bundesrepublik, fanden kein Gehör. Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen UNESCO Kommission Prof. Klaus Hüfner vom Institut für Wirtschaftspolitik der Freien Universität Berlin zum Beispiel demonstrierte „die pauschale Abwicklung der Hochschule für Ökonomie, wie eine Chance für eine überfällige Reform des Hochschulwesens insgesamt“ vertan worden ist.[2] Eine objektive Bewertung der Leistungen der HfÖ fand nicht statt, es genügte für die Begründung der Abwicklung der Hinweis auf die HfÖ als „Kaderschmiede der DDR“[3]. Ein weiteres Argument, die HfÖ hätte als Spezialhochschule in der Hochschullandschaft der Bundesrepublik keine Überlebenschance gehabt, muss als vorgeschoben betrachtet werden, um die ausschließlich politisch begründete Entscheidung zu verschleiern.
Die juristische Begründung lieferte schließlich das Oberverwaltungsgericht Berlin. Es bezeichnete die Auflösung der Hochschule als rechtmäßig und hat deren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der das Fortbestehen der Hochschule erreicht werden sollte, in zweiter Instanz zurückgewiesen. Der Beschluss der Landesregierung zur Abwicklung sei auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu beanstanden. Danach könne eine Einrichtung aufgelöst werden, wenn ihre Aufgaben wegfallen. Mit dem Untergang der DDR seien die Aufgaben der Hochschule als zentrale Bildungseinrichtung wirtschaftswissenschaftlichen Charakters entfallen[4].
Fast alle Mitarbeiter der HfÖ wurden entlassen, darunter rund 70 Professoren, nachdem bereits vorher etwa 30 in den vorzeitigen Ruhestand oder in die Arbeitslosigkeit gedrängt worden waren. Eine individuelle Evaluierung der Hochschullehrer hat nicht stattgefunden.


[1]      Klaus Labsch, Statt Hochschulreform „Abwicklung“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 02/1991, S.143-146.
[2]      Michael Gardner, Rotstift ohne Evaluation angesetzt. In: Deutsche Universitäts­zeitung vom 4.3.1991.
[3]     Barbara Riedmüller, Wissenschaftsstadt Berlin. Hochschulen im Vereinigungs­prozess. In: Werner Süß (Hrsg.). Die Hauptstadt. Vergangenheit und Zukunft einer Metropole, Berlin 1999.
[4]     dpa -Dienst für Kulturpolitik 30/91, 22.Juli 1991.

Am Ende des Sommersemesters 1991, als die „Abwicklung“ der Hochschule für Ökonomie beschlossene Sache war, rief der Studentenclub und viele Künstler kamen, um durch ihre Musik keine Trübsal aufkommen zu lassen.