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Die Hochschule für Ökonomie und die Praxis

Autorin: Henriette van der Wall

Dipl. oec. Henriette van der Wall (AW 66/1) berichtet über die positiven Seiten und die Defizite der Ausbildung, die sie an der HfÖ absolviert hat. Sie schildert, welche Hemmnisse sich ihr bei dem Versuch entgegen stellten, das Gelernte in der Praxis umzusetzen. Nach der Wende fand sie in ihrer beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeit vielfach die Bestätigung, an der Hochschule für Ökonomie gut ausgebildet worden zu sein.

Ich hätte nie Wirtschaft und schon gar nicht Außenwirtschaft studieren dürfen! Ja, kein schöner Anfang anlässlich eines Treffens nach so langer Zeit, trotzdem muss ich das sagen.
Aber nun der Reihe nach:

Atmosphärisches: Studieren und Feiern
Nach ein paar Schnuppertagen im Spätsommer 1966 ging es gleich in den Ernteeinsatz. Schnell fanden sich kleine Gruppen, wir lieferten uns Wettbewerbe auf dem Kartoffelacker und gingen abends in die Kneipe. Die einheimischen Bauern machten sich einen Spaß mit uns und testeten unser Trinkvermögen – Kaffe mit Kaffesatz und dann Pfeffi-Likör….  Manchmal waren die folgenden Nächte und auch der nächste Morgen etwas schwierig. Aber da mussten wir durch. Die Wirtsleute waren große Klasse, sie servierten uns Holundersuppe, ich konnte einen Karton voller Äpfel mit nach Hause nehmen. Im zweiten Jahr verblüfften wir die Bauern am nahegelegenen See mit FKK-Baden – sie machten aber nicht mit.
In der Seminargruppe AW 66/1 verstanden wir uns über die gesamte Zeit sehr gut, leider wurde die Studienzeit dann um ein Jahr verkürzt. Vieles unternahmen wir als kleinere Gruppe oder manches auch alle zusammen – Theater, Kino, tanzen, Konzerte, Ausflüge, auch die kohlefreie Wintervorstellung im Deutschen Theater überstanden wir trotz kräftigen Frierens in unseren Mänteln und Jacken gemeinsam. So manches Buch ging durch viele Hände und beschäftigte uns. Schön war es dann auch in meinem Domizil 2 km von der HfÖ entfernt – den Hof Am Tierpark 9 und meine kleine Bude lernten unsere Gruppe und einige Paare kennen. Unsere Seminargruppe nutzte so manche Gelegenheit zum gemütlichen Beisammensein, immer mit Kulturprogramm, das gehörte dazu.
Viel gelacht haben wir über den Vortrag „Der Teilarbeiter und sein Werkzeug“. Diese Passagen von Karl Marx konnten nur gefunden werden, weil wir tatsächlich auch studierten. Und das oftmals bis in die Nächte hinein. Dabei unterstützten wir uns gegenseitig, waren zuverlässig und solidarisch untereinander. Das war ein sehr schönes Gefühl. Auch lernten wir uns selbst nicht so wichtig zu nehmen und nicht alles gleich auf die Goldwaage zu legen. Es gab Neckereien, wo man manchmal auch schlucken musste und nicht alle gleich lachen konnten. Trotzdem war es frei von Häme. Mir gefiel es, war ich doch das erste Mal in meinem Leben gleiche unter gleichen. Es spielte an der Hochschule für Ökonomie keine Rolle, dass mein Vater Arzt war und meine Mutter eine gebürtige Österreicherin. Trotz der in jeder Hinsicht ansehnlichen Bilanz unserer Seminargruppe – „Sozialistisches Studentenkollektiv“ wurden wir nie!

In Quarantäne: AW 66 vor A3b

Wir genossen unsere Jugend und die vielen Gelegenheiten zum Feiern. Meistens. Der erste Faschingsabend im 1. Studienjahr ist mir in besonderer Erinnerung. Natürlich gab es einen höheren Bedarf an Karten als verfügbar. Also ging auch ich wie einige andere anstatt zum Feiern nach hinten in das Mensagebäude nach vorne in den Zeitschriftenlesesaal. Dort lernten wir etwas fürs Leben, von der Lesesaalaufsicht: „Wenn Feste sind, wird gefeiert, gearbeitet wird dann später wieder. Lernt die Gelegenheiten zu ergreifen!“ Wir ergriffen sie fortan etwas geschickter und genossen die vielen tollen Faschingsfeiern, die dem ersten Jahr noch folgten. Unvergesslich! Und einige von uns beglückten die Umgebung der HfÖ mit dem Nachfeiern am nächsten Morgen – die Texas-Bar wartete schon darauf (es machte zumindest den Eindruck). Ein großes Dankeschön an dieser Stelle für die Organisator*innen – sie standen inzwischen üblichen professionellen Carnevals-Clubs in nichts nach.
Auch mit einigen Dozenten verstanden wir uns sehr gut. Zur Weihnachtsfeier in den Räumen des Wohngebietsausschusses in der Damerowstraße verblüffte uns Prof. Fritz Enderlein mit seinem fantastischen Gedächtnis, das er sich beim schnellstmöglichen Postaustragen in seinem Heimatdorf für einen kleinen Zuverdienst antrainiert hatte. Dr. Götz Scharf forderte uns zum dialektischen Denken heraus, was Dr. Karl Mickel, der Wirtschaftshistoriker, mit dem Denken in historischen Zusammenhängen ergänzte. Er war auch Vorreiter in umweltfreundlicher Mobilität und fuhr die Strecke von seiner Ladenwohnung in der Husemannstraße bis zur Hochschule in der damaligen Hermann-Duncker-Straße mit dem Fahrrad. Auch war er in den 60er Jahren schon unkonventionell, was die Aufbewahrung seines Fahrrades betraf – es stand in der Wohnung. Heute etwas Alltägliches, damals etwas Besonderes. Dessen konnten wir uns aus eigener Anschauung vergewissern, da er uns zu einer Fete in seine Wohnung eingeladen hatte. Zu essen gab es frisches Brot mit Messer im Rücken, daneben Töpfe mit Schmalz und sauren Gurken – über die reichlich vorhandenen Getränke konnten wir durch eine Luke im Fußboden zum Keller verfügen.
Es war eine Mischung aus Ausgelassenheit und Unbekümmertheit auf der einen und ernsthaftem Studium und immer wieder Dranbleiben auf der anderen Seite. Die Aufgaben des Studiums begriffen wir als Herausforderung. Auch wenn das manchmal nicht so aussah, wie man an der sehr harschen Kritik von Frau Kupfer am Morgen nach einem Fest der Russischen Sprache erleben durfte. Wir hatten sehr lange und fröhlich im Vorraum der Professorenmensa gefeiert und hingen am nächsten Morgen durch. Sie hatte mitgefeiert und fand unsere äußerst lahmarschigen Reaktionen mit häufigem Augenzufallen nicht so toll: „Man kann bis fünf  Minuten vor Acht feiern, um Acht ist man aufmerksam!“ So ungefähr waren ihre Worte. Das haben wir verstanden und wieder etwas fürs Leben gelernt.
Was mir allerdings erst Jahre später klar wurde, war ein Ereignis am Rande des Festes gewesen. Im Internat wohnten Assistenten aus mehreren arabischen Ländern, die ihre Doktorarbeit schrieben. Einer von ihnen feierte und tanzte ausgelassen mit, wir beide überboten uns beim Ausdenken neuer Schrittfolgen und hatten richtig Spaß; der Sirtaki war natürlich einer der Höhepunkte. Auf einmal forderte mich ein Mann zum Tanzen auf, den ich niemals gesehen hatte, weder vorher noch nachher, und beschimpfte mich, dass ich mit einem Ausländer so ausgelassen feierte und unterstellte mir, die einheimischen Jungs würden mich nicht interessieren. Tjaaaa….

Hochschule und Praxis
Das Studium hatte auch unverständliche Ereignisse parat. Eines der ersten Praktika war der Warenkunde gewidmet; ich kam in einem Betrieb unter, wo man kleinere medizinische Geräte herstellte, z. B. Endoskope. Sie wurden nach herkömmlicher Art umständlich mit Pappe oder Papier rutschfest und stoßsicher verpackt, obwohl es bereits Firmen gab, die mit passgenau ausgestanztem Schaumstoff arbeiteten, damals das Neueste. Nur nicht im Betrieb, wo die medizinischen Geräte hergestellt wurden. Derartige Schaumstoffumhüllungen hatte ich in einem Betrieb irgendwo in Richtung Müggelheim gefunden, also jottwede. Ich sah mir das genau an und schrieb die Abschlussarbeit des Praktikums darüber. Es war eigentlich ein Verbesserungsvorschlag. Das wurde vom Bereich Warenkunde nicht thematisiert. Was ich nicht konnte, war das Schreiben auf der Schreibmaschine – es gelang mir einfach nicht fehlerfrei. Also erhielt ich für die gesamte Arbeit eine Drei. Ich habe das niemandem erzählt, auch nicht gekämpft, es war mir peinlich.
Was fehlte, war eine Ombudsstelle für die Studierenden. Eine generell bessere Lösung für derartige Fälle wäre eine Präsentation und Diskussion aller Praktikumsarbeiten vor der Seminargruppe oder sogar vor dem gesamten Jahrgang gewesen, in Anwesenheit von Vertreter*innen aus der Praxis. Damit hätten wir geübt, unsere unabhängig vom im Unterricht vermittelten Lehrstoff selbstständig erarbeiteten Ergebnisse zu präsentieren und möglicherweise auch zu verteidigen. Das wäre auch im Hinblick auf das Aufzeigen von Stärken und Schwächen der Studierenden, das Ansehen der Hochschule für Ökonomie, für ggf. festere Arbeitsbeziehungen zwischen der Hochschule, ihren Studierenden und der Praxis ein Zugewinn gewesen.
Es fehlte generell an praktischen Beispielen, was sich dann auch in meiner Belegarbeit zum Thema Konkret – Abstrakt – Konkret widerspiegelte, was wiederum vom Betreuer bemängelt wurde. Ob er die Ursachen jemals erkannt haben mag? Wurden wir doch für die Praxis ausgebildet, sollte man zumindest meinen. Vielleicht war das aber auch gar nicht gewollt?
Eigentlich fand unser Studium an der Hochschule in einer interessanten Phase technischer Entwicklungen statt – dem beginnenden Zeitalter der Digitalisierung. Man versuchte, uns deren wesentliche Grundlagen und die daraus entstehenden Möglichkeiten zu erläutern. Wir erhielten also Vorträge über Kybernetik und mussten Programmablaufpläne auswendig lernen. Wie viele das wohl verstanden haben mögen? Es war ein theoretisches Lernen, was man damit wirklich machen kann, wie auch mathematisch und rechentechnisch wenig Versierte damit arbeiten könnten – das lernten wir nicht. Auch nicht im Forschungszirkel, wo man uns die Formeln für eine dynamische Optimierung von unterschiedlichen Produkten, Mengen, Preisen, Ländern nahezubringen versuchte. Gerechnet haben wir mit diesen Modellen nicht, weder mit Zahlen aus der Praxis noch mit ausgedachten.

Allerdings durften wir im Studentenaustausch nach Leningrad fahren, wo wir dieselben Formeln noch einmal erläutert bekamen. Dieser Teil des Aufenthaltes war also nicht so spannend; umso schöner und interessanter waren die Ausflüge – „Экскурсия“ stand jeden Tag auf dem Programm. Zum Frühstück wurden wir in ein Restaurant gefahren, dessen Bauweise und Ausstattung schon die Stimmung hob – hohe Räume mit Säulen, glänzenden Steintäfelungen, Goldzierrat, lichtdurchflutet. Es gab immer каша aus Buchweizen und einem Flocken Butter darüber und mit kleinen Wiener Würstchen umrandet, alles andere konnten wir selbst wählen. Es schmeckte fantastisch! Dann ging’s los mit den Sehenswürdigkeiten. In der Erimitage zeigte einer der sowjetischen Studenten auf ein Gemälde, fragend, ob wir diese Person kennen würden. Es war ihm wichtig, uns auf Friedrich den Großen, den Alten Fritz, wie er sagte, aufmerksam zu machen. Mit zum Programm gehörten viele Ziele in der Umgebung – Puschkino, die Rodelberge, Petrodvorez, Rasliv, der Finnische Meerbusen. Man spürte den Stolz auf diese Zeugnisse der russischen Geschichte und ihren Wiederaufbau einschließlich der originalgetreuen Rekonstruktion der Schlösser und deren Inventar nach dem II. Weltkrieg. Der Aufenthalt in der Sowjetunion wurde mit einer Fahrt nach Moskau und die Besichtigung wichtiger Kulturdenkmäler beendet.
Mich hat besonders die Zuwendung berührt, die wir seitens der sowjetischen Student*innen erfuhren. Sie begleiteten uns fast überall hin und verzichteten teilweise auf die Heimreise zu ihren Familien während der Semesterferien, auch wenn das nur in der längeren Sommerpause möglich war. Die Student*innen kümmerten sich auch um das Abendessen, das im Internat selbst zubereitet wurde. Einer von ihnen beeindruckte mich mit der Geschwindigkeit, in der er Kartoffeln schälte – ein Nachahmen war zwecklos. Dazu gab’s Zwiebeln und Speck und ???? Wir saßen oftmals noch viele Stunden zusammen und genossen die hellen Nächte. Eines Nachts sind wir rechtzeitig losgelaufen, um uns anzuschauen, wie die Brücken hochgezogen wurden. Das warme Sommerwetter lud zum Baden ein – ab ging’s in die Newa, natürlich FKK. Ich wundere mich noch heute, dass niemand daran Anstoß nahm.

1970: Inbetriebnahme des R300 (schwanke)

In dem Forschungszirkel waren auch Studenten der Sektion Marxistisch-leninistische Organisationswissenschaft (MLO), die das Programmieren lernten und deren tägliches Zuhause das Organisations- und Rechenzentrum (ORZ) auf dem Gelände des HfÖ-Internats war. Die Verbindung zwischen allem – ich habe sie nicht erlebt. Weder damals noch später während des sogenannten Forschungsstudiums. Auch hier wurde die Verbindung zwischen Theorie und Praxis nicht hergestellt. Ich brach es deshalb auf eigenen Wunsch ab.

Eine vergleichbare Erfahrung machte ich im Kabarett der HfÖ „Die Brechbohnen“. Die uns von außen zugearbeiteten Sketche pickten einige allgemeine Themen der Zeit auf – das machte eine Weile auch Spaß, wir traten sogar auswärts auf. Hatte man allerdings die Erwartung, im Kabarett der HfÖ Ungereimtheiten aus dem täglichen Leben an der HfÖ oder des Internats unter die Lupe zu nehmen, wurde man enttäuscht – ich ging wieder.

Auch das Sensorium für im Lauf der Jahre immer klarer hervortretende Probleme war nicht spürbar. Prof. Hans Mottek, eine anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte, hatte sich offensichtlich genauer mit den Auswirkungen unserer ach so gepriesenen Produktionsweise auf die Umwelt beschäftigt, was international immer deutlicher und offener benannt wurde. Er wurde belächelt. Dabei waren doch alle mit Begeisterung in seine Vorlesungen gegangen, wer ihn als Seminarlehrer hatte, fühlte sich privilegiert. Ja, er gehörte zu den Originalen und war auch originell. Folgende Anekdote rankte sich um ihn: Prof. Mottek kommt aus der Professorenmensa, Studenten sprechen ihn wegen eines Themas an, sie disputieren eifrig, bis er auf die Uhr schaut und fragt: „Verzeihung, aus welcher Richtung bin ich gekommen?“ Man zeigte in Richtung Mensa, er antwortete: „So, dann muss ich wohl schon gegessen haben!“
Anfang der 90er Jahre nutzte ich eine Gelegenheit, ihn persönlich kennen zu lernen. Er war der Bitte des Begründers des Instituts für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung der DDR, einem gebürtigen Niedersachsen, gefolgt und diskutierte mit uns an einem der dort eingeführten Themenabende über aktuelle umweltpolitische Fragen. Es war interessant wie immer und dauerte weit über die vorgesehene Zeit. Anschließend ergab sich für mich in einer kleineren Gesprächsrunde die Möglichkeit, ihn auf diese Anekdote hin anzusprechen. Er schmunzelte, meinte, sie nicht gekannt zu haben, fand sie aber treffend.

Wesentlich besser schien man die praktischen Bedürfnisse von Entwicklungsländern zu analysieren und zu beachten. So erfuhren wir von Dr. Herbert Imhoff – wiederum im Fach Warenkunde – den Leitsatz für deren praktische Unterstützung: ‚Nicht so gut wie möglich, sondern so gut wie nötig – ein Hammer ist  hilfreicher als ein Vollautomat, weil er einfach in Bedienung und Reparatur ist‘. Diesen Vergleich verstanden alle. Die W50 fahren heute noch in vielen dieser Länder, weil die Nutzer*innen vor Ort sie selbst reparieren und auch viele Ersatzteile selbst herstellen können.

Einen großen Dämpfer bekam ich persönlich, als ich erst unmittelbar vor der Matheprüfung erfuhr, wir würden zu zweit geprüft. Ohne Vorbereitung, ohne davon jemals etwas gehört oder derartiges gar geprobt zu haben. Das fand ich unmöglich, da ich damals schon und auch bis in die jüngste Vergangenheit eigentlich vor allem sachlich argumentiere. Jemanden zu übertölpeln oder im Wettbewerb niederzumachen war nicht meine Art. Und dann das! Ich war gut vorbereitet, Mathe fiel mir nicht schwer, ich hätte fast alle Fragen beantworten können und auch relativ schnell. Die andere Studentin hing aber immer wieder durch, ich wurde unsicher und sagte nichts – sie zu besiegen, war nicht meine Art. Das Ergebnis der Prüfung war dann auch dementsprechend. Mir ist bis heute nicht klar, welche Absicht man damit verfolgt hatte. Sollten wir uns selbst nun besser kennenlernen, um an Defiziten zielgerichtet arbeiten zu können oder doch lieber nicht?

Erfahrungen in der Praxis
Wie oben dargestellt, war die praktische Umsetzung der vorhanden Erkenntnisse und rechentechnischen Möglichkeiten nach meinen Erfahrungen äußerst gering. So ist es nicht verwunderlich, als ich im Außenhandelsbetrieb (AHB) Elektrotechnik nach mehreren Jahren Preisarbeit für das Sozialistische Wirtschaftgebiet (SW) weiterhin ohne Unterstützung von Computern arbeiten musste. Im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) galten für viele Waren noch Preise, die seit mehr als 10 Jahren nicht verändert worden waren. Sie mussten auf jeden Fall den seit Mitte der 70er Jahre gravierend veränderten Weltmarktpreisen angepasst werden; Grundlage waren die im Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) üblichen Preise. Um konjunkturelle Spitzen abzufangen, wurde jeweils der Durchschnitt der letzten fünf Jahre gebildet. Viel Arbeit, wenn man das mit der Hand und eventuell (!) einem Taschenrechner machen muss, für eine gute Verhandlungsvorbereitung möglichst auch noch mehrere Varianten.
Das wäre also eine wunderbare Gelegenheit gewesen, mittels wirklich einfacher Computerprogramme schnell Ergebnisse zu erzielen, Preisverhandlungen kurzfristig mit wenig Aufwand flexibel vorbereiten zu können. Schisschen! Dem war nicht so. Mein dementsprechender Verbesserungsvorschlag im AHB Elektrotechnik aus dem Jahr 1979 wurde abgeschmettert, im daraufhin um Unterstützung gebetenen Ministerium für Außenwirtschaft wurde ich als „Intelligenzbestie“ bezeichnet. Das heißt also: Mehr als 10 Jahre, nachdem wir an der Hochschule für Ökonomie mit Kybernetik traktiert worden waren, dort die MLO eingeführt worden war und man über ein recht gut ausgestattetes ORZ einschließlich deren Mitarbeiter*innen verfügte, hatte man in der Praxis noch keine Ahnung von den Möglichkeiten, die die Nutzung von Computern bei wiederkehrenden Berechnungen bot. Ich wandte mich daraufhin an den MLO-Bereich der HfÖ und erfuhr, ich sei die erste aus der Praxis gewesen, die bei ihnen nach Möglichkeiten einer Unterstützung für Probleme der Praxis durch ihre Institution nachgefragt hätte. Ihr Bestreben, mich einzustellen, wurde allerdings seitens einer mir nicht bekannten Institution unterbunden…

Das Studium war interessant und vielfältig. Wir brauchen uns dessen, was wir an der Hochschule für Ökonomie gelernt haben, nicht zu schämen, sondern können gewiss sein, gut ausgebildet worden zu sein. Vor allem haben wir gelernt, dialektisch und in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen zu denken. Viele der Forschungsergebnisse und Lerninhalte, mit denen wir an der HfÖ in Berührung kamen, dürften internationalem Standard entsprochen haben. So wurde im Fach „Volkswirtschaftsplanung“ ähnliches gelehrt wie im „Volkswirtschaftslehre“ genannten Fach an der Freien Universität Westberlin. Das bescheinigte uns ein dortiger Dozent in einer 1991 vom Arbeitsamt empfohlenen Weiterbildungsmaßnahme. Umso unverständlicher war es, warum alle diese Erkenntnisse nicht in die Politik der DDR Eingang gefunden hatten, bedauerte auch dieser Westberliner Dozent.
Umso unverständlicher ist es auch, dass es der Willkür einzelner Funktionäre, Abteilungs- oder Bereichsleiter überlassen war, das Potenzial derartig gut ausgebildeter Fachleute nicht auszuschöpfen. Oder steckten ganz andere Leute dahinter, dass man mir im Außenhandel keinerlei berufliche Entwicklungsmöglichkeiten anbot? Es ist sehr wahrscheinlich, dass eben meine Herkunft, also mein Elternhaus, eine der Ursachen gewesen ist. Die Preisverhandlungen ließ man mich allerdings ganz selbstverständlich mit einem von meiner Mutter besorgten bundesdeutschen Taschenrechner vorbereiten. Insofern war die seinerzeitige Entscheidung der Aufnahmekommission an der HfÖ, von der ich erst im Sommer 1977 zufällig auf dem Tennisplatz erfuhr, mich wegen der Verbundenheit mit der sozialistischen Intelligenz zum Außenhandelsstudium zuzulassen, nicht zeitgemäß gewesen.
Auch das Studium der Wirtschaft wäre sinnlos gewesen, denn warum sonst hat man mit mir neben dem Ignorieren guter Arbeitsergebnisse im Institut für Wasserwirtschaft, wohin ich 1980 gewechselt hatte, sogar Gaslighting betrieben?

1990 und später
Es bedurfte erst des Mauerfalls, dass mir 20 Jahre nach Beendigung des Studiums bundesdeutsche Fachleute aus Wirtschafts- und Politikwissenschaft bescheinigten, an der Hochschule für Ökonomie gut ausgebildet worden zu sein. So erhielt ich bereits im Frühjahr 1990 die Möglichkeit, erstmalig in meinem Leben etwas zu veröffentlichen – über die Strukturentwicklung in der Wasserwirtschaft der DDR seit ihren Anfängen. Sie vertrauten mir, dass ich das Bestmögliche tun würde, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob und wie viel Material für eine derartige Darstellung vorhanden ist. Ich hatte Glück, die Entwicklung war in Zeitschriften über die Jahre reichlich dokumentiert. Das Ergebnis stellte die Hans-Böckler-Stiftung zufrieden, mein Koautor und ich konnten zuvor nicht gefundene Quellen im Rahmen eines zweiten Vertrags erschließen. Der Verband der Gas- und Wasserwirtschaft riss uns die Exemplare förmlich aus der Hand.
Dieses Erlebnis bestätigte mir meine Vermutung, dass hinter all den Aktivitäten, die über Jahre mein Selbstbewusstsein zerstören sollten, Absicht und System gesteckt hatten.

So waren seit 1990 Vertreter*innen aus dem Lehrkörper an der Grundschule, in die meine jüngste Tochter damals ging, desgleichen viele Eltern froh, mein Organisations- und Durchhaltevermögen für anstehende Fragen in der Schule, insbesondere für die kind- und umweltgerechte Umgestaltung des Schulhofes, verfügbar zu haben. Auch in der Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung, deren Mitglied ich seit 1992 über fast drei Wahlperioden war, habe ich niemals Vorwürfe in Bezug auf mangelnde Kompetenz meiner Person erfahren, obwohl jede/r aus unserer kleinen Fraktion sehr viele unterschiedliche Themen abzudecken hatte, wie man auf meiner Website henriette-van-der-wall.de nachlesen kann. Es hat sich bei mir auch niemand darüber beschwert, dass ich neben anderen gemeinnützigen Aktivitäten zu den Initiator*innen und Mitwirkenden des Kampfes gegen das Steinkohlekraftwerk an der Rummelsburger Bucht gehört hatte. Dabei hat uns übrigens die Nachfolgeinstitution am ehemaligen Standort der HfÖ, die Fachhochschule für Technik und Wirtschaft, sachdienlich unterstützt, praxisbezogen.
Da ich vermute, nicht die einzige Person zu sein, deren gute Ausbildung, Kreativität und Arbeitsvermögen zu DDR-Zeiten von den führenden Funktionären und deren auf Karriere bedachten Untertanen in den Wind geschossen wurde, sehe ich mich veranlasst, folgendes Erlebnis  aus den ersten 90er Jahren zu schildern. Während einer von Bündnis 90/Die Grünen organisierten Podiumsdiskussion mit relativ großer Teilnehmerzahl wurde Prof. Christa Luft die Schuld für die verfehlte Wirtschaftspolitik der DDR angelastet. Im Saal wurde es spürbar unruhig. Wichtig schien mir die Wortmeldung einer jungen in der alten Bundesrepublik sozialisierten Frau zu sein, die daraufhin für alle hörbar sagte, dass sich für sie das Thema Sozialismus noch nicht erledigt hätte.

Was könnte heute denn nützlich sein?
Seitdem sind fast 30 Jahre vergangen und es gestehen immer mehr Leute: Ein So-weiter-wie-bisher geht nicht, weil der Mensch seine sozialen, kulturellen und ökologischen Lebensgrundlagen systematisch zerstört. Sowohl im sogenannten Sozialismus als auch in der angeblichen Marktwirtschaft galt und gilt als oberster Leitsatz: Materieller Wohlstand, koste es, was es wolle.
Inzwischen gibt es immer mehr Gruppen von Menschen, kleinere und größere, über den gesamten Erdball verteilt, die das erkannt haben und versuchen, gemeinsam und solidarisch besser im Einklang mit der Natur zu leben und zu wirtschaften. Global denken, lokal handeln, ein Plakat auch aus den ersten 90er Jahren. Und da bin ich wieder bei der HfÖ: Es wird verstärkt einer Ausbildung bedürfen, wo man volkswirtschaftliche Zusammenhänge thematisiert, allerdings ergänzt um soziale, Umwelt- und weitere Faktoren, um aus diesem von der Menschheit selbst geschaffenen Dilemma heraus zu kommen. Symptomatisch dafür scheint mir auch das seit einigen Jahren wieder erstarkte Interesse an der Analyse des Kapitalismus zu sein, sprich das Studium der Werke von Karl Marx und Friedrich Engels. Vermutlich wäre man gut beraten, die Kriterien der Volkswirtschaftsplanung, wie wir sie in den 60er Jahren an der Hochschule für Ökonomie gelernt haben, mit weiteren Faktoren zu ergänzen, um mittels Modellen der dynamischen Optimierung sowohl den Crashtest der Menschheit zu simulieren als auch Varianten der Verhinderung dieses Supergaus ermitteln zu können. Ohne praktische Umsetzung wäre das aber sinnlos.

Es bleibt also zu hoffen, dass unsere Kinder und Enkel sich dessen bewusst sind.