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Du kannst alles werden

Autor: Hans Knop

Prof. Dr. Hans Knop (Jahrgang 1930) hat von 1951 bis 1955 an der Hochschule für Planökonomie studiert und war dann bis 1990 an der HfÖ und in anderen Ländern der Welt wissenschaftlich tätig. Er berichtet von einem ausgefüllten Leben, obwohl er seinen Jugendtraum vom Bau nicht verwirklichen konnte.

„Im Sozialismus kannst Du alles werden, ob Du willst oder nicht“. Das war damals ein gängiger Spruch voller Ironie und Wahrheit. Dieser Spruch kam mir immer wieder in den Sinn, als ich über das Ansinnen von Günther Hoell nachdachte, anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung unserer Hochschule für Ökonomie in Berlin als einer der ersten Studenten eigene Erinnerungen aufzuschreiben. Der Spruch erinnert an den manchmal rauen Umgang der SED mit ihren Mitgliedern, aber zugleich auch an die vielen Türen, die uns damals, 1950, offen standen. Heute, über mein Leben nachdenkend, finde ich, dieser Spruch passt auf mein Leben und er sagt vieles über die DDR aus, was Außenstehende nicht verstehen können.
Ich bin Jahrgang 1930, war also mit 15 Jahren im Jahre 1945 dank „der Gnade der späten Geburt“ (das Zitat stammt übrigens von Günter Gauss und nicht, wie behauptet, von Helmut Kohl!) einigermaßen heil an Körper und Seele dem Nazireich und dem furchtbaren Krieg entronnen. Mein Neuanfang wurde geprägt durch eine ANTIFA-Jugendgruppe im Ort und durch Antifaschisten, die eine starke Vorbildwirkung auf mich ausübten. Ab 1946 habe ich (gern, oft mit knurrendem Magen) den schönen, intelligenten, aber körperlich schweren Beruf des Zimmermanns erlernt. Unter anderen habe ich die Neubauernhäuser in Diepensee mit gebaut, die jetzt dem neuen Flughafen weichen mussten. Es machte schon stolz, wenn man sehen konnte, was man geschaffen hat.
Danach erfolgte durch meinen Betrieb, den VEB Schwermaschinenbau Wildau, die Delegierung zum Studium: Erst die Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) in Berlin (ein Leben wie in Hermann Kants „Aula“) und dann Ökonomie-Studium in Karlshorst. Das war die erste Abweichung von meinem eigentlichen Wunsch, nach einem Ingenieurstudium zum Bau zurückzukehren. „Dann gehe ich eben als Ökonom auf den Bau“. Unsere verehrte, aber sehr bestimmende Rektorin Eva Altmann entschied dann anders. „Du wirst Volkswirt!“ Sie ließ trotz des anfänglich noch üblichen „Du“ nicht mit sich verhandeln.
Das Studium begann mit den Qualen, über Marx’ „Kapital“ zu sitzen und entwickelte sich dann zu einem von Praktika durchsetzten straff organisierten 4-jährigen Studium, das zunehmend die produktive Neugier anregte.
Sicher ist es – auch heute noch! – für einen Sozialisten und erst recht für einen Ökonomen gut, sich in Karl Marx’ „Kapital“ auszukennen. Aber die 2500 Seiten sind nicht für Studienanfänger geschrieben, die keine Ahnung von Hegel, Feuerbach, Smith, Ricardo, Quesney und überhaupt von Marx’ geistigem Umfeld im 19. Jahrhundert hatten. Es war sicher eine gute Absicht, uns 1951 zu Beginn des Studiums an das „Kapital“ – geschenkt von unserer Hochschule – zu setzen, geschadet hat es auch nicht, aber es war sicher methodisch-didaktisch nicht sehr klug. Später stand das intensive „Kapital“-Studium dann auch richtiger am Ende der mehrjährigen Ausbildung.
Da saß ich nun mit den Freunden meiner Seminargruppe beim gemeinsamen, mit äußerster Disziplin absolvierten „Selbststudium“ im Seminarraum. Draußen schien die Sonne, ich träumte davon, wie schön es jetzt auf der Baustelle wäre und wie gut frisches Holz riecht und die aufgegebenen Kapital-Seiten wollten viel zu langsam weniger werden. Sorgfältig, natürlich ordentlich mit Lineal und Buntstiften, habe ich alles, was mir wichtig und richtig erschien, unterstrichen. (Mein buntgemaltes „Kapital“ habe ich heute noch.) Und dann, nach seitenlanger Schweißarbeit die böse Überraschung: Die ganze Passage hat Marx nur referiert, um sie dann in Grund und Boden zu kritisieren! Alles, was mir so gut gefallen hat, zerfiel nun unter Marx’ Kritik.

1953: Arbeitseinsatz von Studenten der Hochschule für Planökonomie in der Pionierrepublik in der Wuhlheide (bleschinski)


Natürlich gab es auch langweilige Lehrabschnitte, die wir nicht ernst nahmen. Jahre später zum Beispiel während der Arbeit am Planungsministerium in Guinea/Westafrika, wurde ich allerdings auch vor ungewohnte Aufgaben gestellt und es kam die späte Einsicht, „hättest du doch damals im Studium auch auf diesem Gebiet besser aufgepasst!“ Für das weitere Leben prägend war auch die in den ersten Jahren – manchmal bis zum Exzess – von uns an der Hochschule praktizierte Basisdemokratie, die so gar nicht zu dem heute gezeichneten Bild von der dogmatischen, geistig erstarrten späten DDR passt. Beides gehört zur Wahrheit über dieses Land. Einer der Wortführer war ein Mitstudent, der später DDR-Minister wurde. Am Ende des Studiums stand der berufliche Einsatz. 1955 wurden ausgebildete Leute überall gebraucht. Wiederum: „Ich gehe in die Bauwirtschaft“. Eva Altmann und die Einsatzkommission: „Ich brauche Dich jetzt erst einmal als Assistent an der Hochschule“.
Von einer wissenschaftlichen Tätigkeit oder gar der Promotion hatte ich nie geträumt. Aber nun: Promotion, Habilitation, Berufung zum Dozenten und zum Professor, Institutsdirektor, Entwicklungshelfer in Westafrika, Prorektor, ordentliches Mitglied des Forschungsrates der DDR, wissenschaftliche Publikationen, Lehrbuchautor und -herausgeber, internationale wissenschaftliche Konferenzen, Auslandsreisen, hohe wissenschaftliche Auszeichnungen. Zwischendurch Arbeit an Rechnermodellen im Stahlwerk Hennigsdorf und in der Perspektivplanung der Energiewirtschaft. Ein verlockendes Angebot, ganz in die Perspektivplanung der Energiewirtschaft zu wechseln, musste ich ausschlagen. „Du kannst gehen, aber nicht jetzt gleich“. Später neben meiner Lehr- und Forschungsarbeit an der Hochschule ein Jahr lang Leiter der Expertengruppe des Ministerrates für die Ausarbeitung einer langfristigen Gesamtenergiestrategie der DDR. (Eine Sache, die die BRD auch heute dringend nötig hätte!) Da war ich unmittelbar an den schwierigen Entscheidungen unter anderem über wissenschaftlich-technische Aufgaben zur Energiegewinnung und
-umwandlung, über den Bau von Pipelines aus der Sowjetunion, die Errichtung von Großkraftwerken im Lande, den Aufschluss von Braunkohlentagebauen oder über eine energiesparende Strukturpolitik beteiligt. Was kann sich ein Wissenschaftler schöneres wünschen? Später wurde ich dann für mehrere Jahre Leiter eines Forschungsbereiches am Internationalen Ost-West-Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg bei Wien, dabei Arbeit mit internationalen Forschungsgruppen in den USA, in Sibirien und in Japan. Wiederum eine wunderbare Aufgabe.
Viele meiner Studienfreunde sind einen vergleichbaren Weg gegangen. Ich war auch nicht immer zufrieden mit dem, was ich erreicht habe und ausgestattet mit der „Altersweisheit“ von heute hätte ich sicher auch manches anders gemacht. Aber eines hat sich in meinem Leben mehrfach wiederholt: Ich wurde vor Aufgaben gestellt, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte und um die ich mich nicht beworben hatte. „Mach mal, fang erst mal an, du wirst dich schon durchbeißen, du bist ja nicht allein … usw. usw.“ waren die Sprüche, die mich begleiteten. Heute bleibt mir, im Geiste meinen Lehrern an der HfÖ für das erhaltene geistige Rüstzeug und den mutigen Leuten, die mich immer wieder ins Wasser geworfen haben, dafür zu danken, dass sie mir so viel zugetraut und mir so viele neue, interessante Aufgaben gestellt haben, die mein Leben ausgefüllt haben. Ich hatte das seltene Glück, beruflich fast immer nur etwas tun zu müssen, was ich auch gern gemacht habe und ich hatte sicher auch Glück mit den Menschen, die mir diese Aufgaben angeboten haben.