Autor: Hans-Joachim Ullrich
Dipl. oec. Hans-Joachim Ullrich (VW 72/5) erlebte als Mitglied der FDJ-Ordnungsgruppe der HfÖ im Jahre 1973 die Weltfestspiele der Jugend und Studenten und berichtet, warum das für ihn ein Glücksfall war.
Ich denke, dass ich als kleines Licht und einfacher Dipl. oec., der mit Westgeschwistern, zu denen ich die Kontakte trotz Kaderleitungsempfehlung nie abgebrochen habe, nicht über die Ebene eines Abteilungsleiters im VEB hinausgekommen bin, kaum einen nennenswerten Beitrag zu den Erinnerungen leisten kann. Aber vielleicht grinst ja doch der Eine oder Andere über meine Erlebnisse, von denen ich hier nur etwas schreibe, obwohl ich viel mehr könnte. Deshalb kurz vor unserem Treffen das.
Als nach drei Jahren in der NVA Ende Oktober 1972 Entlassener begann mein Studium erst Anfang November. Aber das erste, was ich von meinen Kommilitonen gesagt bekam, war, dass ich unbedingt am nächsten Tag zum Friedrichstadt-Palast fahren muss. Dort werden Karten für das Omega-Konzert verkauft. Die haben vorher im Audimax gespielt. Und das war mega geil!
Also bin ich hin. Ach du sch….! Die Schlange reichte schon fast bis zum Bahnhof. Aber weil nach mir auch noch viele kamen, habe ich mich angestellt. Als ich endlich an der Kasse war, um für mich und meine Frau zwei Karten zu kaufen – mehr bekam man ohnehin nicht – gab es die nächste Überraschung. Eine Platzwahl war nicht möglich. Dafür der Aufdruck „Sichtbehinderter Platz“. Na prima! Aber ich hatte ja nun die Karten, also sind wir auch ins Konzert gegangen. Was war ich froh über unsere Plätze! Ganz weit oben, da wo bei anderen Veranstaltungen die Plätze wohl nicht vergeben werden und die Vorhänge zugezogen sind. Wir saßen mittig zwischen den Pfeilern mit freier Sicht auf die Bühne. Und dann das Konzert mit Ungarns Omega-Band. Es war das erste Rockkonzert meines Lebens. Vorher hatte ich die Puhdys, die man damals kaum kannte, zum Abiball 1969 in Falkensee und Modern Soul zum Bergfest meiner Frau 1971 in Warnemünde erlebt. Aber das waren keine Konzerte, da wurde zum Tanz aufgespielt. Bei Omega konnte ich mich nur brüllend mit meiner Frau an meiner Seite verständigen. Wie ging es erst denen, die viel weiter unten saßen. Das Konzert war der absolute Hammer und ich meinen Kommilitonen dankbar für die Order.
Das nächste Großereignis – ich sehe mal von meinem Dauereinsatz als UvD bei der Militärausbildung in Groß Köris, auch wieder wegen verspätetem Einstieg und nun fehlender Ausbilder-Verwendung ab – waren die Weltfestspiele 1973. Mit meinen militärischen Vorkenntnissen sollte ich bei der FDJ-Ordnungsgruppe mitmachen, was ich aber absolut nicht wollte. Ich befürchtete, von der Veranstaltung wenig mitzubekommen. Meine ganzen Einwendungen halfen nichts. Ich musste mitmachen.
Es war das beste, was mir passieren konnte. Es gab zwar eine Wochenendausbildung in Prieros, wo wir z. B. die Kordonbildung üben mussten. Aber das war kein Problem.
Unser erster Einsatz war der Empfang der sowjetischen Delegation auf dem Ostbahnhof. Kordonbildung, der Zug fuhr ein und hielt. Als die Türen aufgingen stieg genau vor mir als Erster ein großer Blonder in hellgrauer Delegationskleidung aus. In dem Augenblick sagte mein Nachbar etwas zu mir so etwa in dem Sinne, dass jetzt die Russen wieder mal als Erste angekommen wären. Da ging der Blonde auf ihn zu und sagte in astreinem Deutsch: Wir sind Esten und keine Russen. Merke dir das gut! Dann klopfte er ihm auf die Schulter, sagte Druschba und ging weiter. – Soweit vielleicht als Bezug zur Gegenwart mit der damaligen Sowjetunion.
Wir waren im Prinzip bei vielen Veranstaltungen in der vordersten Front. So beim beeindruckenden Einmarsch der Delegationen in das Stadion der Weltjugend. Am Abend konnten auch wir ganz locker jede Menge Kontakte knüpfen, als alle möglichen Nationalitäten durchs Gelände schwirrten. „Hallo, Eidgenossen!“ Antwort: „Ach, wenn wir Eidgenossen alle Genossen wären, wären wir ja nicht mehr zu genießen.“ Den Satz kann ich sehr gut auf schweizerisch.
Wir mussten auch am Alex oder unter dem Fernsehturm uns zwischen das Volk mischen und auf Taschendiebe achten, Auskünfte geben oder eventuelle Streite schlichten. Das hat richtig Spaß gemacht und brachte Erlebnisse. Ein Franzose lud mich zum Eis ein, weil ich ihm eine Frage beantworten konnte. Wir verständigten uns auf englisch. Bei unserem Eisgelöffel geriet er mit einem Landsmann in Streit. Auf französisch verstand ich natürlich nichts. Er sagte mir dann, dass das einer aus einer bürgerlichen Delegation war, mit denen er als Kommunist nichts zu tun hat. Da wurde deutlich, dass es nicht nur Weltfestspiele der linken Jugend waren. Am Abend allerdings konnte ich am Strausberger Platz beobachten, wie genau diese beiden Streithähne mit den Händen gemeinsam die Trikolore schwenkten und Vive la France brüllten. Nationalstolz verbindet! Aber am Nachmittag musste ja noch das Eis bezahlt werden. Ich dachte mir, dass so ein linker Franzose ja nicht viel DDR-Geld haben konnte und wollte bezahlen. Er bestand aber darauf, dass er mich ja eingeladen hatte. Als ich seine vielen Scheine im Portmonee gesehen habe, ärgerte ich mich über meinen kleinen Eisbecher.
Irgendwann traf ich auch welche aus meiner Seminargruppe. Wir informierten uns über unsere Erlebnisse. Sie beneideten mich, dass ich beim Auftritt von Lokomotiv GT als Ordner wieder ganz vorne war. Es war ähnlich wie Omega. Ihre Erlebnisse als Politische Teilnehmer, so ihre Bezeichnung, bestanden hauptsächlich aus Kartoffelschälen in Grünau und ähnlichen Tätigkeiten. Als wir einmal in Grünau eingesetzt waren, mussten wir u. a. Flugblätter einsammeln, die aus einer britischen Gruppe verteilt wurden. Darauf ging es um die Freiheit der Homosexuellen. Das fanden wohl die Organisatoren nicht so gut
Die Stasi-Beobachtung konnten wir auch besonders gut bei Dunkelheit erleben, wenn einsame Männerpaare in Anzügen aufmerksam um sich blickend zwischen den sich lichtenden Gruppen schlenderten. Einen von ihnen hatte ich mal verärgert. Wir mussten zur Groß-Demo auf dem Marx-Engels-Platz die Zugänge kontrollieren und durften nur die durchlassen, die eine Einladungskarte dafür hatten. Ich stand an der Monbijou-Brücke, als ein Herr an mir vorbei wollte. Ich verlangte seine Karte. Er hatte keine, meinte aber, dass er da unbedingt hin müsste. „Ich darf sie nicht ohne Karte durchlassen!“ Da half auch sein „junger Freund“ beim zweiten Anlauf nicht. Den dritten versuchte er dann bei meinem Nebenmann. Dem gab ich aber zu verstehen, dass er keine Einladung hat. Also auch kein Durchkommen. Als dann sein vierter Versuch wieder bei mir auch zu scheitern drohte, zog er einen Klappausweis an der Kette aus seiner Hosentasche. Erst nachdem ich ihn zur genauen Betrachtung in die Hand genommen hatte, er ihn mir aber wieder entriss und wütend davonging, war mir klar, zu welchem Dienst er gehörte. Ob er allerdings Probleme bekam, weil er seine Arbeit wegen unserer Konsequenz nicht antreten konnte, ist mir nicht bekannt.
An der Interpimper 73 war ich nicht beteiligt. Aber die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Berlin behalte ich in guter Erinnerung. Zum Glück war ich Mitglied der FDJ-Ordnungsgruppen! Und es war eine friedliche Angelegenheit auch zwischen Esten und Russen.