Autorin: Kerstin Haase
Dr. Kerstin Haase (geb. Gerlach) (AW 77/1) hat ihr Studium nahtlos als Forschungsstudentin fortgesetzt und erfolgreich promoviert. Danach hat sie sich den Herausforderungen vielfältiger Führungsaufgaben in der Obertrikotagen-Industrie gestellt: vor und nach der Wende. Mit 40 hat sie einen beruflichen Neuanfang gewagt und mit ihrem wirtschaftspraktischen und -theoretischen Erfahrungen und Kenntnissen Spuren nachhaltigen Wirkens in vielen Krankenhäusern und Kliniken hinterlassen. Und weitere Spuren werden folgen …
1977 war mein Start an der HfÖ, nachdem ich eine dreijährige Ausbildung zur Facharbeiterin für Textiltechnik mit Abitur in der Strickerei- (damals noch Obertrikotagen-) Industrie absolviert hatte. Ich bin bis heute darüber verwundert, dass ich nach den Eignungsgesprächen – sie hießen doch so, oder? – zum Studium in der Fachrichtung Außenwirtschaft zugelassen wurde. Denn bereits im Vorfeld hatte ich schriftlich angefragt, ob ich mit meinem Abschluss eine Chance zur Aufnahme des Außenwirtschaftsstudiums habe. Die Antwort lautete nach Sender-Jerewan-Manier: „Im Prinzip ja, nur mit Ihren Voraussetzungen empfehlen wir Ihnen, ein Studium der Ingenieurökonomie aufzunehmen.“ Im Eignungsgespräch erhielt ich dann ergänzend den Hinweis, dass die HfÖ dazu übergeht, von den zukünftigen Studenten zunächst ein Jahr Tätigkeit in einem Betrieb zu fordern. Dem solle ich doch nachkommen. Mit Hinweis auf meine Berufsausbildung lehnte ich dies ab. Auf die Bemerkung, dass ich ja nicht im Büro gearbeitet hätte, antwortete ich, dass doch die Jungens, die drei Jahre ihren Ehrendienst bei der NVA ableisten, diese Erfahrung auch nicht mitbringen. Man beschied mir einigermaßen empört: „Das kann man doch nicht vergleichen!“ Beim Verlassen der Räumlichkeiten dachte ich mir: „Na ja, das war’s dann wohl mit dem Außenwirtschaftsstudium.“
Ich hatte mich getäuscht und bei späterer Reflexion dieser Begebenheit festgestellt: hier habe ich zum ersten Mal erlebt, dass sich die HfÖ – zumindest von der Mehrzahl der Lehrenden und Forschenden so getragen – wohltuend vom sonstigen öffentlichen Diskurs unterschied. Unser Mentor erklärte uns z. B. ziemlich schnell, dass er von uns nicht wissen will, was das letzte Plenum oder der letzte Parteitag der SED zur Angelegenheit XY beschlossen oder gesagt hat, sondern was wir selbst dazu denken. Oder anders ausgedrückt: Es hat Spaß gemacht, die Prinzipien des dialektischen Materialismus nicht nur als Theorie zu erlernen, sondern diese sozusagen „tagtäglich“ in Diskussionen zu üben. Bis heute „lebe ich davon“, alles im Zusammenhang zu betrachten. Einer meiner Standardsprüche lautet: „Es entscheiden immer Ort, Zeit und Bedingungen.“. Gemeint: Man muss eine Entscheidung immer im Kontext der Bedingungen bewerten, die zum Zeitpunkt des Treffens dieser Entscheidung bestanden haben. Sofern sich diese ändern, ist auch eine getroffene Entscheidung zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern. Dieses Denken gelernt zu haben, ist einer der Punkte, für die ich unserer Ausbildung bis heute dankbar bin.
Ja, und noch etwas – für mich – Wichtiges habe ich im Studium (kennen)gelernt. Das sind zum Einen die Kultur- und sonstigen Events (wie Theaterabonnement, Kinobesuche, Besuch des Winterbahnrennens und des Bockbieranstichs), zum Anderen das Skat- und das Doppelkopfspielen (letzteres habe ich leider inzwischen wieder verlernt) sowie die grundsätzliche Teameinstellung: sofern es dreckige Wäsche gibt, waschen wir diese unter uns aus. Ein herzlicher Dank für diese Erfahrungen und Erlebnisse geht an die Kommilitonen meiner AW 77/1.
Das Studium ging nahtlos bzw. präzise ausgedrückt mit Sonderstudienplan überlappend in das Forschungsstudium über. Aus heutiger Sicht frappierend: befreit wurde ich vom Fach EDV, Gott sei Dank allerdings erst im Oktober, jedenfalls nachdem wir die Grundstrukturen von Datenfeldern, -sätzen und -banken bereits kennengelernt und die erste PL1-Programmierung hinter uns hatten.
Zwei grundsätzliche Erfahrungen habe ich aus dem Forschungsstudium mitgenommen:
- Auch Gruppen von Menschen haben einen Charakter – eine Erkenntnis im Ergebnis meiner Tätigkeit als Seminarlehrerin. Ich erlebte alles: von der total begeisterten Seminargruppe, die mich u. a. zur Seminargruppenfahrt einlud bis zum völligen Desinteresse.
Die Hinweise, die mir zwei sehr erfahrene Seminarlehrer/Dozenten auf meine Nachfrage hin gegeben hatten, bestätigten sich damit voll und ganz. Gertrud Heiduschat hatte mir erklärt, dass sie bei Weitem nicht zu jeder Seminargruppe ein solches Verhältnis hat, wie zu uns (wir lernten schon allein, damit Frau Heiduschat nicht ihren traurigen Blick aufsetzt; umgekehrt lud sie uns zu sich nach Hause ein und kochte für uns – ein super Verhältnis).
Prof. Jochen Dubrowsky (wir lagen ihm schon in den Vorlesungen zu Füßen; als Seminarlehrer durften wir ihn nur zweimal vertretungsweise erleben und waren begeistert) gab mir den Hinweis: Du musst dir vorstellen, du stehst als Dompteur im Löwenkäfig und musst immer aufpassen, dass dich keins der Tiere anspringt – ein Hinweis, den ich auch in jeder der in der Zukunft folgenden Leitungs-/Führungsfunktionen beherzigt habe. - Methodik, Methodik und nochmal Methodik ist wichtig, wenn man ein Thema systematisch und nachvollziehbar für Dritte abhandeln will. Ich ziehe heute noch in Gedanken den Hut vor meiner Doktormutter, Prof. Marianne Winkler, die mich mit stoischer Ruhe, Bestimmtheit und inhaltlicher Erläuterung dazu brachte, meine Texte – ich weiß nicht, wie oft – umzuschreiben. An der inhaltlichen Aussage änderte sich nichts, wohl aber an der Reihenfolge, Verknüpfung der Gedanken usw., schlicht an der Methodik. Mangels PC waren die von mir geliebten Werkzeuge Schere und Klebstoff. Auch wenn ich damals des Öfteren über diese Tätigkeit fluchte (inhaltlich ändert sich doch nichts, also was soll das?), war ich in späteren Zeiten froh, diese Schule genossen zu haben. Egal, ob Presseinformationen, Berichte an den Vorstand oder den Aufsichtsrat und dergleichen, die Kritik meiner Vorgesetzten an meinen Vorlagen hielt sich im Vergleich zu der bei Kollegen doch stark in Grenzen. Und selbst für Verhandlungsstrategien hat mir Methodik geholfen.
Im Frühjahr 1985 mit der Promotion sowie einem Zeugnis mit der Unterschrift von Prof. Christa Luft (zu dieser Zeit Direktorin der Sektion Außenwirtschaft) in der Tasche und nach ausgeheiltem Sprunggelenksbruch ging es rein in das wirkliche Leben, konkret zurück in die Obertrikotagenindustrie als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Absatzdirektors im VEB Thüringer Obertrikotagen Apolda. Durch Projektarbeit oder was auch immer aufgefallen, wurde ich in die Nachwuchskaderausbildung der Kategorie 2 des Ministeriums für Leichtindustrie (die Begriffe sind wahrscheinlich nicht ganz o.k.) aufgenommen. Es ging um die Vorbereitung auf die Übernahme von Funktionen als Betriebsdirektorin oder Fachdirektorin eines Kombinates. Die Ausbildung habe ich als aktive geistige Erholung empfunden. Es gab Wochenendveranstaltungen mit einer Art Vorlesungen/Seminaren, Besuche von Führungskräften in ihren Betrieben, begleitendes Coaching durch Psychologen. Ähnlich wie an der HfÖ ging es auch hier nicht um das „Nachplappern“ des Bekannten oder der offiziellen Linie, sondern um Diskussionen über Veränderungen. Parallel gehörte zur Ausbildung die möglichst schnelle Übernahme von Führungsverantwortung. Ich wurde Leiterin der Abteilung Wirtschaftsstrategie/Stabsorgane, kurze Zeit später außerdem noch Leiterin der Abteilung Export. Ungefähr zeitgleich wurde ich aus der Gruppe der Nachwuchskader Kategorie 2 herausgelöst und in die Kategorie 1 (Kombinatsdirektoren und Staatssekretäre) integriert. Zum 01.06.1988 (im Dezember war ich 30 geworden) erfolgte meine Berufung zur Betriebsdirektorin des VEB Modische Strickwaren Apolda, ein Obertrikotagenbetrieb mit gut 600 Beschäftigten, die Führungskräfte der ersten Leitungsebene mit Anfang bis Mitte 50 im Alter meiner Eltern.
Ein sehr frühzeitiges Erlebnis in diesem Betrieb ließ mich das erste Mal so richtig an dem zweifeln, was wir in der Steuerung der DDR-Wirtschaft tun. Noch unter meinem Vorgänger hatte eine Preisprüfung stattgefunden, deren Ergebnis mit mir ausgewertet wurde. Das staatliche Amt für Preisprüfung (oder so ähnlich) hatte eine Reihe von Verstößen gegen die Kalkulationsvorschriften festgestellt. Ich erfuhr, dass staatlich vorgeschrieben war, mit welchen Werten ein Produkt zu kalkulieren war. Ein bestimmter Pullover sollte auf Grund dieser Vorschrift immer mit dem gleichen kalkulierten Preis versehen sein, egal in welchem Betrieb er gefertigt wird. Ich fragte mich, wofür wir in Betriebswirtschaft etwas über Selbstkosten gehört und uns mit einer Reihe verschiedener Kalkulationsverfahren rumgeschlagen hatten. Nachdem ich auch noch die Abführung der Abschreibungen ans Kombinat und von dort aus deren Umverteilung zur Kenntnis genommen hatte, war mir schlagartig klar, wieso wir eine Reihe von verlustgeplanten Betrieben hatten.
1989, Wende, Zweifel zum Verhalten der Beschäftigten (die, die zu den in den Betrieben versteckten Arbeitslosen der DDR gehörten, riefen am schnellsten und lautesten, wann es denn endlich mit Entlassungen losgeht), Verunsicherung und Hoffnung (endlich das anwenden zu können, was wir mal gelernt haben). Eins vorweg: wenn ich nach der Wende von etwas so richtig enttäuscht wurde, dann war es diese Hoffnung. Aber der Reihe nach.
Mir war schnell klar, dass der von mir geführte Betrieb – dann schon GmbH und ich deren von der Treuhandanstalt berufene Geschäftsführerin – als einer der kleineren Strickwarenbetriebe von Apolda für die Bedingungen der Marktwirtschaft immer noch zu groß ist. Also teilte ich den Betrieb in einen überlebensfähigen Teil und führte diesen der Reprivatisierung zu. Der andere Teil wurde durch die Treuhandanstalt abgewickelt. Ab dieser Zeit erlebte ich eine ganze Reihe von Kuriositäten (heute kann ich über Vieles davon lachen) bis hin zu Ärgernissen (bei manchen stimmt die Bewertung bis heute).
Beispiele gefällig? Also los:
Der neue Eigentümer des reprivatisierten Strickwarenbetriebs kam aus den alten Bundesländern, war von der Qualifikation her Doktor der Veterinärmedizin und vom Status her Beamter. Er war felsenfest der Überzeugung, von Betriebswirtschaft mehr Ahnung zu haben als ich. Er habe ja schließlich die Marktwirtschaft mit der Muttermilch aufgesogen. Bei diesem Erlebnis dachte ich noch: Einzelfall, Selbstüberschätzung.
Im Herbst 1991, schwanger und mit dem Wunsch, nicht mehr so viel auf der Straße zu liegen, wechselte ich zurück zu Thüringer Obertrikotagen als Leiterin der kaufmännischen Verwaltung. Das Unternehmen war aus der Liquidation heraus an eine Textilfirma aus Krefeld verkauft worden. Die Muttergesellschaft – selbst keine Strickerei – sorgte für einen hervorragenden Maschinenpark – einesteils. Aus der großen Schar der Kommanditisten wurde der Aufsichtsratsvorsitzende (das Unternehmen hatte inzwischen die Rechtsform der AG), ein Münchner Rechtsanwalt, ausgewählt – fachlich, d. h. im Gesellschaftsrecht, durchaus auch eine gute Besetzung. Nur: in seinem Schlepptau hatte er seinen Schulfreund, einen Architekten (beide zum damaligen Zeitpunkt ca. 60 Jahre alt). Letzteren sollten wir einsetzen, um unser umfangreiches Immobilienvermögen, das nicht mehr für betriebliche Zwecke benötigt wurde, umzubauen und einer neuen Nutzung zuzuführen. Die deutlich höheren Kosten für den Architekten aus dem Altbundesgebiet (die HOAI Ost hatte damals noch sehr deutliche Abschläge im Vergleich zur HOAI West) sollten wir in Kauf nehmen, um die Ausübung der Kontrollpflichten des Aufsichtsrats zu gewährleisten. Nach kurzer Zeit bemerkten wir, dass der Architekt kein früher Umweltaktivist war (er kam immer mit dem Zug aus München – bei damals bei Weitem noch nicht perfekter Verbindung). Wir rochen seine Fahne mindestens drei Meter gegen den Wind. Seine Pläne und Anweisungen führten dann prompt auch dazu, dass in einem Gebäude eine tragende Wand entfernt wurde. Logisch: die Decke kam hinterher. Wir beauftragten danach einen Architekten mit der Zusatzqualifikation des Statikers aus unserer Region und bekamen dies prompt wieder untersagt – Verweis auf die Kontrollpflicht des Aufsichtsrates – ihr wisst schon.
Das war die erste Situation, in der ich mich fragte, wie schafft es dieses Wirtschaftssystem so erfolgreich zu sein? Wo sind die Entscheidungen, die von dafür ausgebildeten Fachkräften nach Berechnungen und Bewertungen von Chancen und Risiken vorbereitet werden? Ich kam mir vor wie im falschen Film.
1996, Neuorientierung. In der WirtschaftsWoche hatte ich gelesen, dass Krankenhäuser zunehmend Führungskräfte aus der Industrie suchen, weil sie sich in Planung und Steuerung umstellen müssen. Ohne diesen Artikel wäre ich nie auf die Idee gekommen, meinen künftigen Tätigkeitsbereich im Krankenhauswesen zu suchen. Bewerbung im Herzzentrum Leipzig als Leiterin Finanzen (damals zugehörig zur Rhön Klinikum AG), Vorstellungsgespräch mit dem Hinweis, dass ich bei engerer Auswahl mich noch beim Finanzvorstand der AG in Bad Neustadt vorstellen muss. Die Einladung folgte und nach einem kurzen Austausch über Monats- und Jahresabschlüsse musste ich zu meiner großen Verwunderung viele Fragen zur Strickerei-Industrie beantworten. Das freundliche Nicken interpretierte ich als wohlwollende Aufmerksamkeit. Später nahm ich zur Kenntnis: der Bruder meines Gesprächspartners war Inhaber einer Strickerei auf der Schwäbischen Alb. Offenbar kam der Finanzvorstand zur Bewertung: Von der Strickerei hat sie Ahnung, wird sie das Thema Krankenhaus wohl auch lernen.
Mit wie vielen Stolpersteinen das Thema Krankenhaussteuerung und -abrechnung verbunden ist, konnte ich mir zum damaligen Zeitpunkt keinesfalls vorstellen. Nur ein kleiner Sachverhalt zum Verständnis für alle diejenigen, die immer nur am Rande etwas über Krankenhäuser hören – wie: wir haben zu viele Krankenhäuser, zu wenig Pflegekräfte, operieren zu viel … – Krankenhäuser sind per Gesetzt verpflichtet, mit den Krankenkassen ein Mengengerüst an Leistungen für das folgende Kalenderjahr zu vereinbaren (also X Blindarmoperationen, Y künstliche Knie, Z Herzkatheter-Untersuchungen mit Stentimplantation usw.). Jede Leistung hat einen Preis, sodass sich aus dem Mengengerüst das finanzielle Volumen der vereinbarten Leistungen, das sogenannte Budget ergibt. Bis dahin ist dies leicht nachvollziehbar. Schwierig wird es am Ende des Jahres, weil: Eine Überschreitung der Menge der vereinbarten Leistungen führt, bewertet mit einem sehr hohen Prozentsatz, zum Rückzahlungsanspruch der Krankenkassen. Eine Unterschreitung dagegen zur Kürzung des Budgets im Folgezeitraum (alle diejenigen unter uns, die sich in diesem Metier auskennen, bitte ich um Nachsicht für diese äußerst abgekürzte Darstellung).
Ich frage mich seit Jahren: was hat dies mit Marktwirtschaft, Wettbewerb usw. zu tun? Jedenfalls wird dies von der Politik ja für den Bereich der Krankenhäuser immer wieder behauptet.
2001 Wechsel zum Uniklinikum Leipzig als Bereichsleiterin Finanzen, 2006 zur Charité in Personalunion als Leiterin Finanzen (für die Gesamtcharité – also für Klinikum und Medizinische Fakultät) und Kaufmännische Leiterin des Klinikums der Charité – Mitglied des Erweiterten Vorstands der Charité.
Ich erlebte u. a.
- Analysen einer renommierten deutschen Beratungsgesellschaft zum Portfolio der Charité, grafisch super aufbereitet, inhaltlich auch, wenn denn die zu Grunde liegenden Daten gestimmt hätten. Monatsabschlüsse gab es noch nicht. Jahresabschlüsse „lebten“ von Rechnungen, die in Schreibtischen so lange verschwanden, bis der Jahresabschluss erstellt und die Budgeteinhaltung nachgewiesen war.
- Ernsthafte Hinweise von renommierten Wissenschaftlern an den Bereich Krankenversorgung: die Steuerung der Einhaltung der Budgets kann doch nicht so schwer sein. Wenn bei uns in der Forschung das Budget für das Heizen bereits im November erschöpft ist, drehen wir eben die Heizungen zu. Ich habe mich gefragt, wie sich wohl der Patient im Krankenbett bei geschlossener Heizung im November/Dezember fühlt.
- Den sehr stringenten Hinweis, doch ja keine so klare finanzielle Abgrenzung zwischen Klinikum und Fakultät aufzubauen (im Fachjargon „Trennungsrechnung“), wie ich dies in Leipzig getan hatte. „Das wollen wir hier nicht.“ Randbemerkung: der Aufbau dieser Trennung war einer der Gründe, weshalb man mich an die Charité geholt hatte.
- Aber auch spannende Verhandlungen über das gesamte Leistungsspektrum der Charité, Diskussionen mit Klinikdirektoren über Material- und Personalbedarf und deren Finanzierung.
2009 zurück zur Rhön Klinikum AG als Geschäftsführerin der Zentralklinik Bad Berka – nein, keine Reha-Klinik, sondern ein Haus auf Maximalversorgungsniveau mit ca..650 Planbetten, 1.800 Mitarbeitern und einem Umsatz deutlich über 150 Mio. EUR, hervorgegangen aus einem der fünf Herzzentren der DDR. Ich gebe es zu: meine Traumklinik, die einen sehr hohen Anspruch an medizinische Leistung nicht nur mit einer Top-Ausstattung, sondern auch mit einem einmaligen Ambiente verbindet.
Mein Lernfaktor: Bau und Abläufe unter Bedingungen des Good Manufacturing Practice (GMP). Wieso in einem Krankenhaus? Das „M“ steht ja schließlich für Produktion. Ganz einfach: zum Leistungsportfolio der Zentralklinik gehört auch die Nuklearmedizin. Das Fachgebiet diagnostiziert und behandelt mit dem Einsatz von Radiopharmaka (radioaktive Arzneimittel), deren Herstellung produktabhängig teilweise in der eigenen Produktionsstätte stattfindet. Vorschriften ändern sich. Mit Sicherheit kennt ihr dies alle vom Brandschutz. Hier kamen die GMP-Bedingungen als Forderung dazu. Also: Planung eines Neubaus incl. Ausstattung für 11 Mio. EUR und Vorbereitung der Zulassung jedes einzelnen Arzneimittels – die Dokumentation dazu füllt meterweise Ordner, ja Ordner trotz Digitalisierung. Das Thema Zulassung ist, seitdem die Impfstoffe gegen Corona in aller Munde sind, auch jedem bekannt. Am Rande: die kürzlich vorgekommene Verwechslung von Zutaten bei der Impfstoffherstellung bei Johnson & Johnson kann ich überhaupt nicht verstehen. So etwas sollte bei Einhaltung der GMP-Abläufe ausgeschlossen sein. Na ja, da kommt sie schon wieder, die Frage: was ist los in diesem Wirtschaftssystem?
2019 schließlich Wechsel als Geschäftsführerin zu einem Klinikum in kommunaler Trägerschaft. Die Entscheidungs- und Bewertungsprozesse durch die Gesellschaftervertreter werfen viele Fragen auf. Dazu könnte ich wahrscheinlich nochmal drei Seiten schreiben, denke jedoch: es ist genug.
Auf drei Aspekte möchte ich noch kurz eingehen:
- Ihr sagt euch bestimmt: im ersten Teil erzählt sie, dass sie im Forschungsstudium Methodik gelernt hat. Davon haben wir hier nicht viel gemerkt.
Richtig. Ich wollte keinen Bericht/Lebenslauf abgeben, sondern erzählen – erzählen über ausgewählte Begebenheiten, die mich bis heute umtreiben. - Offen ist auch: was war denn nun mit „Montage“? Ganz einfach: in der Zeit meiner Tätigkeiten in Leipzig, Berlin und zuletzt im Westen von Thüringen habe ich die Wohnung Sonntagabend oder Montag früh verlassen und bin Freitagabend zurückgekehrt. Auf die Frage zu unserem Familienleben antwortete mein Mann routinemäßig: „Meine Frau ist auf Montage“.
- Offen für mich ist 30 Jahre nach der Wende immer noch: wo sind die Unternehmen, in denen neue Gedankenansätze nicht im Keim erstickt werden, in denen es um die Sache und nicht um den Verkauf der eigenen Persönlichkeit geht, in denen schlicht nach wirtschaftlichen und zukunftsorientierten Maßstäben gearbeitet und entschieden wird?