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Mein Leben in Karlshorst … und danach

Autor: Kazimierz Fordon

Dipl. oec. Kazimierz Fordon (SVW 73/3) hat an der HfÖ die Fachrichtung Arbeitsökonomie absolviert. Für seine Diplomarbeit wurde ihm 1978 durch den Rektor der „Bruno-Leuschner-Preis“ verliehen. Er hofft, beim Treffen im Oktober 2021 seinen verehrten Lehrer, Prof. Ekkehard Sachse, zu treffen, und freut sich auf ein Wiedererkennen und -sehen mit ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen.

Nach Berlin bin ich als Stipendiat der Regierung der Volksrepublik Polen gekommen. Da ich in Świnoujście, einer Stadt an der westlichen Grenze Polens, aufgewachsen bin, war für mich von Anfang an klar, dass ich meine Ausbildung  bei unseren westlichen Nachbarn fortsetzen werde. Die Anfangszeit war nicht einfach, aber bestimmt war das nicht nur bei mir der Fall. Zunächst habe ich im Studentenwohnheim in der Hermann-Duncker-Straße (Haus A4) gewohnt und zwar mit zwei anderen Studenten, einem Deutschen, Andreas, und Zoran aus Jugoslawien. Die beiden waren oft abwesend, so dass ich die Bude meistens nur für mich hatte. Im 3. Studienjahr bin ich in die Hans-Loch-Straße gezogen. Damit hängt eine lustige Geschichte zusammen. Eines Tages wurde ich von zwei Bauarbeitern gefragt, wo hier eine Schwimmhalle gebaut wird. Ich habe auf irgendeinen Platz hingewiesen und in wenigen Tagen haben die Bauarbeiten genau dort begonnen (sic)!
Die HfÖ war eine Kaderschmiede für die Wirtschaft der DDR und jeder Absolvent, soweit mir bekannt war, konnte mit einer Arbeitsstelle nach dem Studium rechnen. Ob diese in jedem Falle zufriedenstellend war, mag eine andere Frage sein, aber es gab für deutsche Absolventen eine sichere Perspektive. Was ich nach dem Studium machen würde, war völlig unklar. Umso mehr habe ich mich also bemüht, die Studienzeit richtig zu nutzen und so die besten Voraussetzungen für den künftigen Start in das berufliche Leben zu schaffen. Mit Nostalgie denke ich an die Zeiten, als der Matheprofessor Herr Müller (wenn ich mich richtig an den Namen erinnere), nach vielen Klausuren vom Rednerpult im Audimax bekannt gab: und schon wieder hat unser polnischer Freund die beste Arbeit geschrieben! Zugegeben, ich hatte damals einen starken tschechischen Konkurrenten und hoffe, dass er wird auch zu den Feierlichkeiten nach Berlin kommen wird und wir uns die Hände drücken können.
Die Urkunde  des Bruno-Leuschner-Preises hängt eingerahmt in meiner Wohnung in Warschau und ich bin sehr stolz darauf, diese Auszeichnung verliehen bekommen zu haben.
Ich erlaube mir nur eine kurze Bemerkung zur damaligen politischen Lage in der DDR. Viele werden sich bestimmt daran erinnern, dass mein Land oft als die lustigste Baracke im sozialistischen Lager bezeichnet wurde. Ob die DDR weniger lustig war? Ich habe immer noch die Worte in den Ohren, die ein deutscher Kommilitone über den damaligen Vorsitzenden des Ministerrates gesagt hat. Er nannte ihn Blindermann. Für mich war das damals sehr mutig! Vielleicht war das aber nur eine Art der zugelassenen internen Parteikritik.

1974 (?): Kazimierz Fordon (stehend rechts außen) mit seiner Seminargruppe SVW 73/3

Während meiner Studienzeit habe ich aber nicht nur gelernt. Es war für mich sehr wichtig und interessant, viele historische Orte und Plätze in Berlin und Umgebung zu entdecken bzw. zu besuchen, darunter auch solche, von deren Existenz nicht mal meine Kommilitonen wussten. Dazu gehörte zum Beispiel das Kapitulationsmuseum in Berlin-Karlshorst.

Nach dem Studium habe ich kurz als junger Wissenschaftler gearbeitet. Danach bin ich aber in den diplomatischen Dienst gegangen. Während meiner beruflichen Laufbahn war ich auf verschiedenen Posten im deutschsprachigen Raum, darunter zweimal in Berlin tätig. Einige Szenen und Situationen aus dieser Zeit habe ich sehr tief auf meiner „Festplatte“ im Kopf gespeichert.
So zum Beispiel werde ich die Eröffnung der Oderbrücke unter Teilnahme des damaligen polnischen Ministerpräsidenten und des deutschen Bundeskanzlers nicht vergessen. Heutzutage rollt dort der normale LKW- und PKW-Verkehr und keiner denkt sich dabei, dass dies nicht immer eine Selbstverständlichkeit war. Eine andere Szene, die sich immer wieder in meinem Kopf abspielt, ist die von der Zwischenlandung des polnischen und des französischen Staatspräsidenten sowie des deutschen Bundeskanzlers in der Ramstein Air Base und die darauffolgende Begrüßung der hohen Gäste durch den amerikanischen Kommandanten. Die zwei amerikanischen Soldaten, die vor dem Dienstzimmer des Kommandanten Wache hielten, sahen wie aus dem Holz geschnitten aus und schienen eine Rolle in einem Hollywood-Film zu spielen.
Die letzte Szene, die ich noch in Erinnerung rufen möchte, hat sich im Hotel Adlon in Berlin abgespielt. Bei einem Vor-Ort-Termin in der Präsidenten-Suite habe ich an der Wand das Bild von Friedrich dem Großen entdeckt. Dieser König gilt besonders für die Preußen als großer Held, für die Polen dagegen ist er ganz zurecht eine sehr negative Gestalt, die zur Teilung Polens und der „Ausradierung“ des polnischen Staates von der Weltkarte wesentlich beigetragen hat. Man könnte sich also vorstellen, wie der polnische Staatspräsident beim Betreten seiner Suite auf diese „Begrüßung“ reagieren würde. Letzten Endes wurde dieses Gemälde auf meine dringende Empfehlung bzw. Aufforderung durch ein Bild mit Blumen ersetzt.
Meine berufliche Laufbahn war oft sehr hektisch, aber zugleich bunt und interessant. Bei Gelegenheit konnte ich viele schöne Orte in fast ganz Deutschland besuchen. Berlin bleibt aber meine Lieblingsstadt! Ich denke oft an den Alexanderplatz, den Palast (Ballast?) der Republik, das Brandenburger Tor, den Bebelplatz, die Siegessäule, die Krumme Lanke, die Pfaueninsel, aber auch an das Gleis 17 am Bahnhof Berlin-Grunewald.

Seit 2018 bin ich im Ruhestand. Meine österreichischen Freunde nennen es Unruhestand. Ich genieße mein Leben in einem kleinen Garten und lese Bücher, für die ich früher zu wenig Zeit gehabt habe.
Ich frage mich immer wieder, was ich von meiner Studienzeit und danach von den beruflichen Aktivitäten in Deutschland mitgenommen bzw. mitbekommen habe. Meine Frau beschwert sich, ich sei zu sehr preußisch, aber mit der Zeit hat sie sich daran gewöhnt. Die guten Erinnerungen an diese Zeiten behalte ich für immer. Die schlechten, die es auch gab, habe ich längst weggedrückt. Grundsätzlich darf ich behaupten, auch für mich war das Studium an der HfÖ lebensprägend.
Ich hoffe bei unserem Treffen im Oktober 2021 viele Kolleginnen und Kollegen wieder zu treffen und – vor allem – wieder erkennen zu können. Meinen Beitrag beende ich mit einer sehr persönlichen Botschaft bzw. einer  Bitte an Professor Sachse: bleiben Sie bitte gesund, damit wir uns in einem Jahr im Audimax wieder umarmen können!