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Nach der Kriegsgefangenschaft ins Kernsemester

Autor: Paul-Johann Weigl

Dipl. oec. Paul-Johann (Hans) Weigl (Jahrgang 1924) war bei seiner Immatrikulation im Jahre 1950 bereits Familienvater und hat das Studium trotz der damaligen Probleme mit Bravour gemeistert. Im Verlaufe eines langen Berufslebens hat er verantwortungsvolle Aufgaben in der Wirtschaft und im Staat wahrgenommen. Noch heute – als 97-Jähriger – verfolgt er die gesellschaftliche Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit.

Bei der Durchsicht der sehr interessant gestalteten Internetseite zum Hochschultreffen ist unschwer festzustellen, dass ich zu den Ältesten noch lebenden Absolventen der Hochschule gehöre. Ich entstamme einer Zeit, die nur noch ganz wenige persönlich kennen gelernt haben, die aber Weichen bis ins Heute gestellt hat.

Prägend für mich und spürbar bis jetzt waren meine bitteren Erlebnisse vor und im Krieg. 1924 in der Nähe von Brünn geboren wurde ich mit 18 Jahren noch eingezogen. Ende April 1945 verlor ich im Kessel bei Halbe meinen linken Unterschenkel, geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kehrte von dort 1946 zurück. Über den Aufenthalt der Familie nichts wissend und durch die Kriegsverletzung zusätzlich gehandicapt, hatte ich vor allem ein Ziel: Nie wieder Krieg.

Trotz der riesigen Schwierigkeiten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erhielt ich eine den Verhältnissen angemessene medizinische Versorgung und eine meinen Möglichkeiten entsprechende Ausbildung.
Zunehmend wurde mir klar, dass in der SBZ ein politischer Kurs eingeschlagen wurde, der meinem Grundsatz, nie wieder Krieg zu erleben, vollständig entsprach. Kommunisten, die im Konzentrationslager gesessen hatten und nun Funktionen in der Wirtschaft ausübten, erkannten mein Interesse für wirtschaftliche Prozesse und waren der Auffassung, dass ich meine Fähigkeiten für den antifaschistisch-demokratischen Aufbau besser einsetzen könnte, wenn ich ein Hochschulstudium auf dem Gebiet der Ökonomie absolvieren würde. Zu dieser Zeit war ich bereits verheiratet, hatte eine Tochter und vor mir stand nun die bange Frage, wie ich Beruf, Familie und Studium unter einen Hut bringen würde.

1951: Hans Weigl mit Kommilitoninnen und Kommilitonen aus dem Kernsemester (darunter Arno Donda, Kurt Fenske, Jost Prescher)

Nach Erledigung aller Formalitäten begann ich 1950 das Studium an der gerade gegründeten Hochschule für Planwirtschaft. An die Studienzeit gibt es noch viele Erinnerungen, sowohl direkt an das Studium, als auch an viele für die damalige Zeit prägende Ereignisse neben dem Studium. Gut erinnere ich mich an die zahlreichen Einsätze beim Steineklopfen: rund 300 Stunden habe ich an Wochenenden, vorwiegend am damaligen Osthafen, verbracht. Für unsere Seminargruppe eine Selbstverständlichkeit. 1951 fanden die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin statt. Mit Stolz erfüllte uns, dass Delegationen aus 104 Staaten am Treffen teilnahmen. Mir war der Auftrag erteilt, die polnische Delegation zu betreuen.
Am 17. Juni 1953 verfolgten wir angespannt die sich vollziehenden Ereignisse. Verstärkt noch durch den Fakt, dass sich die Hochschule in unmittelbarer Nähe sowjetischer Garnisonen befand und wir viele ihrer Aktivitäten hautnah beobachten konnten.

1953 Arbeitseinsatz in der Pionierrepublik Wuhlheide (bleschinski)

Während des gesamten Studiums bestand bereits eine enge Verbindung in Berliner Betriebe. Betriebsbesichtigungen und Praktika sicherten von Anfang an eine enge Verbindung zwischen Theorie und Praxis; für die damalige Zeit bei weitem keine Selbstverständlichkeit.
Bereits kurz nach erfolgreicher Beendigung des Hochschulstudiums wurde mir die verantwortungsvolle Aufgabe des Hauptbuchhalters in den Magdeburger Armaturenwerken übertragen. Hervorragend ausgestattet mit dem an der Hochschule erworbenen Wissen gelangen mir einige auch von außen beachtete Maßnahmen, um die Wirksamkeit des Rechnungswesens für die Steuerung des betrieblichen Reproduktionsprozesses zu erhöhen und damit die gesamte Effektivität des Betriebes wesentlich zu verbessern.
In jene Zeit fiel die Überlegung, den Staatsapparat auf allen Ebenen durch erfahrenen Wirtschaftskader zu stärken. So erhielt ich den Auftrag, den Vorsitz der Bezirksplankommission in Magdeburg zu übernehmen, wodurch ich zugleich Stellvertreter des Ratsvorsitzenden wurde. Die 60er und 70er Jahre stellten auch an den Bezirk Magdeburg anspruchsvolle Aufgaben zur Entwicklung der Wirtschaft. Durch die Bezirksplankommission war insbesondere zu gewährleisten, dass sich wirtschaftliche und territoriale Entwicklungen harmonisch und übereinstimmend vollzogen. Entsprechende Vorschläge wurden erarbeitet, mit der Staatlichen Plankommission abgestimmt und dem Rat des Bezirkes zur Entscheidung vorgelegt. Erinnert sei an die Umprofilierung des Niederschachtofenwerkes Calbe/Saale, den Aufbau einer leistungsfähigen Erdgasförderung in der Altmark, die Erschließung hochwertiger Kalivorkommen im Raum Wolmirstedt, die Entwicklung des Schwermaschinen- und Anlagenbaus als dominierender Industriezweig des Bezirkes und anderes. Immer waren diese Aufgaben mit der Schaffung einer leistungsfähigen sozialen und technischen Infrastruktur verbunden, für die der Rat eine besondere Verantwortung trug.
Gemäß der Kaderpolitik des Staates führte mein Weg dann in das Ministerium für Wasserwirtschaft und Umweltschutz, wo ich als Stellvertreter des Ministers eingesetzt wurde. Meine Verantwortung bestand vor allem darin, in der DDR eine einwandfreie, hygienisch sichere und erschwingliche Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung für die Bevölkerung zu sichern. Das war mit dem Einsatz beträchtlicher Investitionen verbunden, um die in der Plankommission heftig gerungen werden musste, liefen dort doch Forderungen auf, die in ihrer Gesamtheit nicht realisiert werden konnten. Ich kann bis heute mit einer gewissen Genugtuung feststellen, dass diese Aufgabe in entsprechender Qualität gelöst wurde. 

Im Rahmen meiner Verantwortung lernte ich u. a. auch die Sowjetunion kennen. Mich beeindruckte der Elan der sowjetischen Bürger beim Aufbau; aber auch, dass sie in den Bürgern der DDR Freunde und Mitkämpfer sahen, die gemeinsam mit ihnen für eine bessere Zukunft ohne Krieg eintraten.
Ich bringe das deshalb zum Ausdruck, weil ich diese Affinität zu den Deutschen vielerorts immer wieder verspürte. Welche Chancen hätte das für eine gute Zusammenarbeit auch nach der Vereinigung bedeuten können!

Herzlichen Dank an Dipl. oec. Uwe Trostel (1968 bis 1973 Fernstudent an der HfÖ), der den Autor bei der redaktionellen Gestaltung des Beitrages unterstützt hat.