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Unsere ausländischen Kommilitonen und ihre Eigenheiten

Autor: Joachim Zimmermann

Dipl. oec. Joachim Zimmermann (Jahrgang 1938)) hat von 1956 bis 1960 an der Hochschule für Außenhandel (und ab 1958 an der HfÖ) studiert. Danach hat er u. a. als Fachdirektor in einem Berliner Industriebetrieb und als stellvertretender Generaldirektor in einem AHB gewirkt. Nach 1990 war er beratend auf finanz- und betriebswirtschaftlichem Gebiet tätig.

Das weitgehend volkswirtschaftlich geprägte Studium der „Außenhändler“ mit einem nützlichen Anteil Sprachausbildung war für mich und viele meiner Studienkameraden eine solide Ausgangsposition für die berufliche Entwicklung. Ich bin der Hochschule für ihre Wissensvermittlung aufrichtig dankbar. Wir waren eben nicht nur „Marx-Kenner“, sondern haben uns trotz beschränkter Möglichkeiten mit den Marktgesetzen des Schotten Adam Smith und den Wechselwirkungen von Sparen, Konsum und Investitionen des britischen Ökonomen John M. Keynes beschäftigen können. Im Fach Philosophie gab es einen Einblick in die Lehren von Kant, Hegel und Feuerbach. Auch die katholische Soziallehre Oswalds von Nell-Breuning wurde erwähnt. Diese Kenntnisse, durch „Nachlesen“ in der Bibliothek erweitert, waren in meinem späteren Berufsleben in vielen Geschäftsverhandlungen mit bundesdeutschen und ausländischen Partnern in leitenden Positionen wichtige Anknüpfungspunkte für das Bildungsniveau in unserer Republik.

Das gemeinsame Studium mit Ausländern in den Jahren 1956 bis 1960 war für uns in vieler Hinsicht eine Bereicherung. Noch an der Hochschule für Außenhandel in Staaken hatten wir einen Studenten aus Köpavogur nahe Reykjavik auf Island. Ich nannte ihn einfach wegen seiner stämmigen Größe „Vatnajökull“. Zum Nationalfeiertag seines Landes am 17. Juni stampfte er immer leicht angetrunken mit schweren Schritten über den Flur des Internats und wiederholte ständig „schon wieder eine Seele vom Alkohol befreit, befreit“. Einmal im Jahr ließ er sich ein Paket mit „Stockfisch“ aus seiner Heimat schicken. Da der Zoll die Verpackung bei der Kontrolle zerstörte, löste der Geruch des Trockenfisches auf dem Postamt „Panik“ aus.
Etwas älter und insbesondere politisch reifer als wir war unser Freund Jorgos J. aus Griechenland. Er kannte Mikis Theodorakis und den Götterboten Hermes (Schutz der Kaufleute). Ich habe ihn mit der Ballade von Friedrich von Schiller „Die Kraniche des Ibykus“ bekannt gemacht.
Eine Einzelerscheinung war ein Student aus Peru. Er hatte stets ein Auge auf Studentinnen mit großem Busen und musste sich nach einem spontanen Zugriff auf selbigen dafür verantworten. Seine Erklärung im Rektorat war nur ein Satz: „Ich studiere den Marxismus und die deutschen Frauen.“
Zu meiner Seminargruppe zählten vom Anfang bis zum Staatsexamen zwei Spanier mit unterschiedlichem Temperament, Antonio B. und Fernando L. Ihre Eltern waren nach dem Franco-Putsch zunächst nach Frankreich geflohen und hatten später in der DDR eine neue Heimat gefunden. Beide hatten an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Dresden auch Deutsch gelernt. Antonio liebte die „Kraftausdrücke“ der Sachsen und gebrauchte diese auch in den Seminaren, wenn ihm etwas nicht gelang: „Scheiße, wieder nicht gewusst“ oder „Heute bin ich wieder ein Arschloch“. Unsere sehr empfindsame Englischlehrerin war darüber stets erschüttert.

Ein Foto mit Rji Ting, übermittelt von Prof. Christa Luft (auch AH 56)

Eine überaus interessante Truppe war das Chinesen-Quartett: Bai J., Rji T., Hung M. und Lin H. Sie waren etwas älter als wir und hatten teilweise bereits eine Familie. Im Verlauf des Studiums konnten sie ihre Heimatregion bedauerlicher Weise  nicht besuchen. Es waren sehr disziplinierte und fleißige Studienfreunde. Sie waren wie wir emsige „Kartoffelsammler“ bei den Ernteeinsätzen in den Sommerferien.  Am Wochenende wurde uns mitunter eine interessante chinesische Mahlzeit durch unseren Kommilitonen Bai. J. serviert. 
An unseren Montagsausflügen zum „Café Karlshorst“ mit Pilsner Urquell oder Wernesgrüner haben sie sich nur selten beteiligt. Sie hatten schon nach zwei Berliner Weißen leichte Alkoholprobleme. Sonst waren ihre Wochenenden und Teile der Ferien ausgefüllt mit politischer Weiterbildung in der nahegelegenen chinesischen Botschaft. Das Staatsexamen haben wir mit unseren chinesischen Freunden nicht mehr gemeinsam machen können. Sie wurden vorher in ihre Heimat zurück beordert, bedingt durch politische Zerwürfnisse auf höchster Ebene.