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Was und wie es war – eine persönliche Rückschau

Autor: Matthias König

Dipl. oec. Matthias König (VW 85/5) hat an der HfÖ Volkswirtschaft studiert, war kurze Zeit Mitarbeiter und ist seit 1996 als Geschäftsführer in mittelständischen Unternehmen tätig. Er berichtet, wie er die im Studium vermittelten Werte, Haltungen und Kenntnisse in seiner beruflichen Laufbahn nutzen konnte.

Die Zeit an der Hochschule für Ökonomie oder: Übungen für die Marktwirtschaft in der DDR
Meine Zeit an der HfÖ in der „Hauptstadt der DDR“, so bekanntermaßen die einstige Zusatzbezeichnung von Berlin, begann im September 1985. Die letzten Wochen meines Wehrdienstes, der drei Jahre dauerte und den ich in Berlin ableistete, waren angebrochen, und ich hatte die Möglichkeit neben meinem Dienst in der NVA die ersten Lehrveranstaltungen an der HfÖ zu besuchen. Ich konnte es kaum erwarten, die Uniform der NVA gegen die „Uniform“ der Studenten, die häufig aus Jeans und kariertem Hemd bestand, zu tauschen. Erwartungsgemäß war der Studieneinstieg nach drei Jahren Abstinenz von anspruchsvollen Lehrveranstaltungen nicht ganz einfach, gelang aber dennoch sehr gut, was der Unterstützung einiger Assistenten, Kommilitoninnen und der Hartnäckigkeit, die ich in der NVA erlernt hatte, zu verdanken war. Im Laufe des Studiums der Volkswirtschaft mit Vertiefung in Territorialökonomie entdeckte ich mein Herz für die Wirtschaftsinformatik und entwickelte diese Leidenschaft zu einem kleinen Geschäft, indem ich ab 1987 Betrieben und staatlichen Einrichtungen meine Dienstleistungen in Prozessorganisation, Softwareentwicklung und Schulung anbot. Ich stieß auf einen großen Bedarf, der durch den damaligen Trend zur dezentralen Rechentechnik intensiviert wurde und bei Weitem nicht durch die vorhandenen Kapazitäten zur Projektierung und Programmierung in den DDR-Betrieben und -Einrichtungen gedeckt werden konnte. Meine Aktivitäten in Prozessorganisation und Programmierung weckten das Interesse der Sektion Wirtschaftsinformatik, speziell des Lehrstuhls Leitung der Wirtschaft, wo ich meinen späteren Betreuer, Prof. Walter Burian, kennen und schätzen lernte. So kam es, dass ich meinen Hochschulabschluss an der Sektion Volkswirtschaft unter Prof. Diethelm Hunstock ablegen und die Diplomarbeit bei Prof. Burian an der Sektion Wirtschaftsinformatik schreiben durfte. Schon damals ein aus meiner Sicht hervorragendes Beispiel für den sogenannten Blick über den berühmten Tellerrand und für interdisziplinäres Arbeiten innerhalb unserer HfÖ-Familie. Das Angebot, als Assistent und Projektant mein Diplomthema zur Informationsprozessorganisation in den Zulieferketten des IFA LKW-Kombinats Ludwigsfelde auszubauen und zur Promotion A zu führen, nahm ich mit Freude und auch Stolz an. Kurz nach meinem Eintritt in die Dienste der HfÖ im September 1989 erlebte ich wie alle Bürger der damaligen DDR einen tief greifenden Umbruch, den wir seitdem gemeinhin als Wende bezeichnen. Ich war Zeuge der Geschehnisse um den 9. November 1989, durchlebte die kurzzeitige Aufbruchsstimmung und sah vielfältige verzweifelte Versuche der Erneuerung und die echter Reformierung. Doch die Geschichte wollte es anders, unsere HfÖ wurde einige Zeit später abgewickelt, und ich entschied mich im Februar 1990, meine wissenschaftliche Laufbahn zu beenden, die Hochschule zu verlassen und eine Führungsaufgabe in der Wirtschaft zu übernehmen.

Die ersten Erfolge der Umgestaltung der Planwirtschaft – und Brot, das niemand wollte
Da ich aufgrund meiner „nebenberuflichen“ Aktivitäten im Informatikbereich vielfältige Kontakte in die Wirtschaft hatte und ein guter Abschluss an der renommierten HfÖ überall ein guter Türöffner war, war es für mich sehr unkompliziert, schnell eine adäquate Position in einem Betrieb zu bekommen. So sammelte ich als ökonomischer Leiter, später als Vertriebsleiter und damit als Verantwortlicher für den Absatz eines bezirksgeleiteten Betriebs der Lebensmittelindustrie meine ersten praktischen Erfahrungen. In Windeseile vergingen die wenigen Monate unter planwirtschaftlichen Verhältnissen, bis dann der Transformationsprozess hin zur Marktwirtschaft mein berufliches Leben für längere Zeit prägte. 
Bei meinem Arbeitgeber handelte sich um eine Großbäckerei, die als eine der letzten größeren Investitionen im Jahr 1989 im Bezirk Magdeburg für fünfzig Millionen Mark der DDR auf die grüne Wiese gestellt worden war. Bilanziell brandneu, moralisch verschlissen – und das kurz nach dem Produktionsstart. Welch ein Dilemma für die spätere Privatisierung! An diesem Ort lernte ich sehr schnell, was es heißt, die Mitverantwortung für 350 Arbeitsplätze zu haben und unter schwierigen Bedingungen Produkte zu vermarkten, die eigentlich nach Einführung der D-Mark niemand mehr haben wollte. Im August 1990 brach erwartungsgemäß der Absatz fast vollständig zusammen, die „Westprodukte“ verdrängten die nunmehr ungeliebte DDR-Ware aus den Regalen der Supermärkte, die damals noch Kaufhallen hießen. Nun galt es, Alternativen zu finden, was dem damaligen Führungsteam auch gut gelang. Wir veränderten unsere Strategie erfolgreich in Richtung Direktvermarktung. Dennoch waren der Abbau von Arbeitsplätzen und die Anpassung der Strukturen unerlässlich. Die damit einhergehenden Erfahrungen haben mich für notwendige Einschnitte im Personalbereich für alle späteren Sanierungsaufgaben geprägt. In guter Erinnerung geblieben ist mir zum Beispiel die Transformation eines volkseigenen Betriebs in eine GmbH. Niemand wusste, wie das funktionieren sollte, aber alle mussten es irgendwie bewerkstelligen – eine Sternstunde für das jahrzehntelang erprobte ostdeutsche Improvisationsvermögen. Als Treuhandunternehmen, das als sanierungsfähig eingestuft war, wurden wir einige Zeit später in das Portfolio der Beteiligungsgesellschaft neue Bundesländer (BNL) aufgenommen. Die Zusammenarbeit mit der Treuhandanstalt und der BNL war damals zu keiner Zeit leicht und stellte neben den vorhandenen, teilweise unbekannten unternehmerischen Herausforderungen meistens eine echte Belastung dar, die eher hinderlich als von Nutzen war. Heute ist das Unternehmen einer der größten Filialisten in der Direktvermarktung von selbst produzierten Backwaren in den neuen Bundesländern und befindet sich im Besitz einer ostdeutschen Unternehmerfamilie. Das Unternehmen hat sich zu einem großen und stabilen Arbeitgeber in der Altmark, meiner Heimatregion, entwickelt.

Warum erwähne ich das so ausführlich? Ganz einfach: Um mit einem konkreten Beispiel aus meiner persönlichen Berufslaufbahn zu unterstreichen, wie ganz konkret mein Studium an der HfÖ, im Gegensatz zu den landläufigen Vorstellungen, dass es mit dem Ende der DDR wertlos geworden wäre, dazu beitrug, mir beruflichen Erfolg und sinnvollen Zweck zu bescheren. Merkte ich doch in meiner praktischen Tätigkeit sehr schnell, dass mein Wissen, das ich an der HfÖ erworben hatte, zwar einer deutlichen Ergänzung zu marktwirtschaftlich relevanten Themen bedurfte, aber keineswegs „sinnlos“ war. So entschied ich mich für ein selbstfinanziertes, berufsbegleitendes Studium der Betriebswirtschaft auf Fachhochschulniveau, das auf Marketing, Recht, Controlling, Unternehmensführung und Personalwirtschaft fokussiert war.

Nach meiner Zeit in der Lebensmittelindustrie wechselte ich in einen anderen Bereich der verarbeitenden Industrie und erwarb erste Erfahrungen mit westdeutschen Familienunternehmen in der Bauzulieferindustrie, wo ich viel lernte und gut gerüstet meinen weiteren Weg gehen konnte. Meine Hauptaufgabe bestand hier nicht in der Umgestaltung, sondern im Aufbau. Als Vertriebsleiter hatte ich die Verantwortung für alle Elemente des Marketingmix und den Aufbau des Vertriebs in einem mittelständischen Unternehmen der Fensterindustrie.

Die Welt des Big Business aus der Perspektive des Mittelstands, Glas, Kunststoff und Beton – es war alles dabei
Mit Eintritt in den ersten börsennotierten Konzern innerhalb meiner Karriere im Jahr 1995 schlug ich das nächste Kapitel in meiner beruflichen Entwicklung auf, was gleichzeitig mit einem Karrieresprung verbunden war. Anfang 1996 wurde ich zum Geschäftsführer einer Gesellschaft in der Flachglasindustrie innerhalb der französischen Compagnie de Saint-Gobain berufen, wo ich meine Kenntnisse in der Restrukturierung und im Wachstumsmanagement, die ich zu Zeiten der Lebensmittelindustrie und danach erworben hatte, gut einsetzen und ausbauen konnte; hatte doch unsere französische Konzernführung nicht unerhebliche Probleme, das von der Treuhand erworbene Flachglaskombinat mit seinen einzelnen Betrieben gut in die Konzernstruktur einzufügen und eine ausreichende Rentabilität herzustellen. Mehrere Stationen im Konzern führten dann 2004 zum Wechsel in die Geschäftsführung eines weiteren Familienunternehmens der Bauzulieferindustrie, der Branche, die bis heute meine berufliche Heimstätte geblieben ist. Ab 2010 wechselte ich dann Werkstoff und Geschäftsmodell und übernahm die Verantwortung für eine Gruppe von Betonwerken, die sich im Portfolio einer Private-Equity-Gesellschaft befanden. Auch hier stand das Sanierungsmanagement im Vordergrund, was durchaus gut gelang, aber leider auch mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einherging.

Der Autor – 30 Jahre nach dem Studienabschluss an der HfÖ

Nach weiteren Stationen, in denen ich als Geschäftsführer mehrfach Sanierungen und Aufgaben des Wachstumsmanagements wahrnehmen durfte, bin ich nun seit einigen Jahren in einem mittelständischen Familienunternehmen als CEO im badischen Sinsheim, unweit von Heidelberg, tätig und lenke gemeinsam mit einem Kollegen, der aus der Eigentümerfamilie stammt, die Geschicke einer Unternehmensgruppe mit 400 Mitarbeitern. Über eine renommierte Restrukturierungsberatung und die finanzierenden Banken wurde ich ausgewählt, um einem fast sechzig Jahre alten Traditionsunternehmen wieder zu neuem Schwung zu verhelfen, was mir bis heute in gemeinsamer Arbeit mit dem bereits dort ansässigen Team viel Freude bereitet und über das Strohwitwerleben unter der Woche – denn der Familienwohnsitz ist in Großbeeren bei Berlin – gut hinweghilft.
Aufgrund der im Laufe der Jahrzehnte gesammelten, sehr vielfältigen Erfahrungen bin ich wiederkehrend Sparringspartner im Sinne von Beiratstätigkeiten oder Beratungsmandaten für Betriebe der verarbeitenden Industrie und auch Private-Equity-Unternehmen, die seit Neuestem immer öfter ihr Augenmerk auf den bodenständigen Baubereich richten.
Selbstverständlich habe ich neben den vielfältigen Aufgaben beruflicher Natur häufig auch ehrenamtliche Verantwortung übernommen, so war und bin ich in Branchen- und Lobbyorganisationen auf Vorstandsniveau der Industrien, in denen ich tätig war, unterwegs und einige Jahre Präsident des Potsdamer Marketingclubs gewesen.

Schöne Erinnerungen fangen mit „H“ an
Nun feiern wir ein Wiedersehen und den 70. Geburtstag unserer Alma Mater. In den dazugehörigen Rückschauen geht es immer auch darum, was wir erreicht haben, als Hochschule insgesamt und als ihre Absolventen im Besonderen. Das Anliegen unserer Bildungsstätte war vor allem, uns zu nutzenstiftenden Mitgliedern der Gesellschaft zu entwickeln, die – ausgerüstet mit dem neuesten Wissen – ihren Beitrag leisten für die Weiterentwicklung des Ganzen. Und in diesem Zusammenhang komme ich nicht umhin, darauf einzugehen, wie mein Leben durch das Wirken vieler unserer Lehrer beeinflusst wurde und wie jeder von ihnen seinen Beitrag zu meiner persönlichen beruflichen Laufbahn geleistet hat.

1988: Dr. Meißner mit Studenten der Seminargruppe VW 85/5 im Club

Es geht dabei nicht nur um die Professorinnen und Professoren, sondern ebenso um die vielen Assistenten, Dozenten und auch um die Frauen an der Essensausgabe in der Mensa und an der Kaffeeklappe, bei deren Kaffee wir so oft die Vorlesungen, die Seminare oder auch das Selbststudium Revue passieren ließen und auch das eine oder andere Date arrangierten. Sie  lehrten uns, dass man sich auch gut fühlen kann, wenn man sein Geschirr zurückbringt. Oder die Leitung des Wohnheims, die uns gelegentlich daran erinnerte, dass die Nacht doch eigentlich zum Schlafen da ist, Partys auch etwas leiser sein können und dass der Tragfähigkeit der Betten im Wohnheim physikalische Grenzen gesetzt sind. Sie alle haben uns geprägt, haben einen Beitrag dafür geleistet, dass wir das wurden, was wir heute sind – und dafür gilt Ihnen unser besonderer Dank. Stellvertretend für die vielen Mitwirkenden in unserer Hochschule, die in meinem Umfeld tätig waren und an deren Namen ich mich heute leider nicht mehr erinnern kann, möchte ich mich bei Dr. Friedhelm Meißner, Prof. Diethelm Hunstock, Prof. Walter Burian, Prof. Rudolf Streich und Prof. Bernd Matthes bedanken. Sie waren neben vielen anderen Menschen prägende Charaktere in Zeiten, die ich persönlich zu den schönsten meines Lebens zähle.

Was am Ende bleibt
Natürlich wurde ich im Laufe der Zeit und durch die unterschiedlichen Positionen in unzähligen Interviews und auch Assessment-Centern immer wieder dazu befragt, was mir die Ausbildung an der HfÖ gebracht habe und wie ich das in die angestrebte Position einbringen könnte. Meine Antwort lautete über die Jahre eigentlich immer gleich: Natürlich unterliegt das seinerzeit vermittelte Wissen einem erheblichen (moralischen) Verschleiß, aber die Grundwerte und -überzeugungen bleiben. Diese bestehen in einem tiefen Verständnis, was Effektivität und Effizienz in allen unternehmerischen Situationen ausmachen, wie sie sichergestellt werden können und wie man methodisch klug an die Bewältigung wirtschaftlicher und auch gesellschaftlicher Fragestellungen herangeht. Einfach ausgedrückt: wie man richtig und konsequent zu Ende denkt und dabei komplexe Sachverhalte überblickt. Auch die stark entwickelte Fähigkeit zur persönlichen Weiterbildung und zum fortwährenden Lernen gehört dazu, unterliegt doch das erworbene Wissen, egal, wo es erworben wird, einer immer kürzer werdenden Halbwertzeit. Und – das vielleicht als Wichtigstes – die tiefe Einsicht darin, dass unser ökonomisches und unternehmerisches Handeln in letzter Instanz den Menschen dienen muss und kein Selbstzweck ist.

Einblicke in Privates
Natürlich gibt es in meinem Werdegang auch eine private Seite, zu der wesentlich meine Frau Cornelia und unsere Tochter Sandra gehören. Meine Frau ist mir seit 1991 neben allen Aspekten einer guten Ehe auch in beruflichen Fragen eine unverzichtbare Sparringspartnerin. Mit ihrem Wissen, das auf einer hervorragenden Studienausbildung im Fach Betriebswirtschaft an der TU Dresden fußt und bis heute durch vielfältige praktische Erfahrungen in sehr verantwortungsvollen Positionen in der staatlichen Finanzrevision, im Rechnungswesen, unter anderem in der Luftfahrtindustrie und in der Immobilienwirtschaft, bereichert wird, vermittelt sie mir immer wieder neue, inspirierende Sichtweisen, die es braucht, um gute Lösungen zu finden. Unsere Tochter steht nach einem Masterstudium an der TU Berlin ihre Frau in der Pharmaindustrie.

Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit vielen Weggefährtinnen und Weggefährten, interessante Gespräche und die eine oder andere Erinnerung an Zeiten, die nun schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegen und doch immer noch zu den besten meines Lebens gehören.

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