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Zum Jubiläum unserer Hochschule für Ökonomie

Autor: Eberhard Grünert

Dipl. oec. Eberhard Grünert (AW 71/1) und seine Frau Ute (AW 71/4) haben sich bald nach dem Studium für ein Leben im Erzgebirge entschieden und dort sowohl vor als auch nach der Wende Spuren erfolgreicher beruflicher Tätigkeit und familiären Glücks hinterlassen. Und es erfüllt sie mit Freude, dass es bis heute zu vielen Kommilitoninnen und Kommilitonen aus der HfÖ-Zeit freundschaftliche Beziehungen gibt.

1975: Seminargruppe AW 71/1 (harnisch)

Meine Frau Ute und ich lernten uns bei Vorlesungen und Seminaren, aber auch durch Kultur und Discoabende im Studentenclub, meist mit Jörg Stempel (AW 66/3) als DJ, kennen und lieben. Am 12. Januar 1974 tanzten wir dort zum ersten Mal miteinander, nachdem ich nach einem gewonnenen Fußballspiel mit meiner Mannschaft Fortuna Biesdorf mit einigen Sportfreunden am Abend noch dorthin gegangen war.
Im Herbst 1974, am Anfang des letzten Studienjahres, heirateten wir und bezogen für die restliche Studienzeit bis zum Diplom ein Ehepaarzimmer in unserem Internat.

Nach erfolgreichem Abschluss des Studiums begann die berufliche Laufbahn in Berliner Außenhandelsbetrieben: Ute bei Büromaschinen Export, später Robotron Export-Import, und ich bei Unitechna.
1975 siedelten wir uns in einer Alt- und Ausbauwohnung im Zille-Milieu von Berlin-Mitte an, 1976 wurde Tochter Cordula und 1977 Sohn Ulf geboren.

Was meine berufliche Entwicklung bei Unitechna betrifft, so landete ich zunächst im Import von Druck- und Papiermaschinen, später von Textilmaschinen, war Importkaufmann, kurze Zeit danach Gruppenleiter und wurde bereits Ende 1978 Kontordirektor. Nicht zuletzt durch die ersten Auslandskontakte konnte ich viele wirtschaftspraktische Erfahrungen sammeln und auch meine Sprachkenntnisse weiter verbessern. Das alles verhieß zwar weiteren Erfolg, aber der zentralisierte, behördenhafte DDR-Außenhandel entsprach auf die Dauer nicht meinen Vorstellungen. Das Verhandeln und Schließen von Verträgen für Maschinen und zum Teil größere Anlagenprojekte, meistens ohne diese je gesehen zu haben, befriedigte mich nicht. Ich wollte Industrieunternehmen ganzheitlich verstehen, gestalten und durchaus auch führen.
Bei allen Annehmlichkeiten und Vorteilen, die die Hauptstadt bot, zog es uns zunehmend doch eher ins Grüne, in diesem Fall in die erzgebirgische Heimat von Ute, zumal auch die Aussichten in Berlin auf eine bessere Wohnung bestenfalls in einer Warteliste für einen Neubau in Marzahn bestanden.

So schauten wir uns Ende 1979 im Erzgebirge um und wurden schnell fündig. Ute fand eine interessante Aufgabe bei FORON im Export und auch ich hatte Glück. Das Messgerätewerk Beierfeld, mit über 2000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Region und einer der wichtigsten Hersteller der DDR für Mess-, Steuerungs-, Regelungs- und Automatisierungstechnik und Betrieb des damaligen Kombinates EAW Berlin-Treptow suchte für seinen in Ruhestand gehenden Direktor für Absatz und Außenwirtschaft einen Nachfolger. In den folgenden zehn Jahren bis zur Wende konnte ich mithelfen, dass der Betrieb vor allem im Export in das NSW für DDR-Verhältnisse enorm erfolgreich war.
Dies änderte jedoch nichts daran, dass uns schließlich die DDR abhanden kam, als Folge von Entwicklungen, die sich im Nachhinein betrachtet bereits Anfang der 80er Jahre angedeutet hatten. Wie andere leitende Mitarbeiter suchte auch ich bereits Ende 1989 nach geeigneten Kooperations- und Geschäftspartnern vorrangig in der BRD, um eine neue Zukunft zu finden und die Arbeitsplätze und den Betrieb zu erhalten.

Im Februar 1990 traf ich auf die Gebrüder Hans und Werner Turck, Inhaber des gleichnamigen mittelständischen Familienunternehmens mit ca. 4000 Mitarbeitern und eines der weltweit führenden Spezialisten von Sensoren und Geräten für die industrielle Automation. Es entstand schnell der Plan zur Gründung einer sächsischen Turck-Tochter in Beierfeld, die Standort für Produktion und Entwicklung von Industrieelektronik sowie den Vertrieb nach Osteuropa und Asien werden sollte. Die Entwicklung und Fertigung von Sensoren war bereits seit den 70er Jahren ein Teilbereich des alten Messgerätewerkes und ein besonders innovatives Segment. Dieser Bereich wurde aus dem alten VEB ausgegliedert, fünf Mitarbeiter wurden in der neuen GmbH direkt angestellt, ich wurde Geschäftsführer und zudem verantwortlich für den Vertriebsaufbau. Das zusätzlich benötigte Personal wurde zunächst auf Leihbasis aus dem in Liquidation befindlichen VEB beschäftigt, Schritt für Schritt aufgestockt und später direkt übernommen, Bestände und Ausrüstungen wurden heraus gekauft und die Räume angemietet. Zur Währungsunion konnten wir wirtschaftlich bereits voll tätig werden und als die Treuhand ihre Arbeit aufnahm, waren wir längst privatisiert.

Nach dem anfänglichen allgemeinen Zusammenbruch der alten Strukturen und Märkte begannen Jahre eines zum Teil atemberaubenden Wachstums. Mit meinen Mitarbeitern baute ich Produktion, Entwicklung sowie Vertriebstöchter und -vertretungen für das Turck-Katalogprogramm in allen osteuropäischen Ländern, dazu in Japan, Korea, Indien und vielen anderen Ländern auf. Aber der eigentliche Hauptschub des Wachstums begann kurz vor der Jahrtausendwende durch das neue Geschäftsfeld kundenspezifischer Lösungen im Rahmen der Turck duotec, mit dessen Erschließung die volle Elektronikkompetenz und viele Synergien zum Tragen kamen und welches wir in Beierfeld starteten. Auch dafür übernahm ich die Geschäftsführung.
Auch diese Phase bedeutete für mich einen enormen Einsatz mit vielen Reisen ins In- und Ausland. In den 27 Berufsjahren bei Turck bereiste ich 57 Länder auf fünf Kontinenten. Das alles führte innerhalb von nur acht Jahren dreimal zu einem weiteren Firmenneubau und einer Erhöhung der Mitarbeiterzahl bis zu meinem Ausscheiden in den Ruhestand 2017 auf 550, viel mehr, als zum Ende der DDR in diesem Bereich des alten Betriebes beschäftigt waren.

Kurzes Fazit dazu:

  1. Das an der HfÖ Gelernte war, zumindest für mich, sehr passend und geeignet für meinen beruflichen Weg, weil es neben dem vielen Detailwissen immer einen ganzheitlichen, generalistischen Ansatz beinhaltete, der ja besonders für komplexere, übergreifende Führungs- und Entscheidungsprozesse von Bedeutung ist. Ich wusste dadurch von Anfang an, Dinge ausreichend in ihrem Zusammenhang mit anderen sowie aus ihrer Entwicklung heraus zu beurteilen.
  2. Während meines gesamten Berufslebens litt ich unter einer Art Minderwertigkeitskomplex, d. h. ich hatte immer Verantwortung für hochtechnische Prozesse und Produkte, gerade auch in Forschung und Entwicklung, ohne als Nichttechniker davon in der Tiefe etwas zu verstehen. Dies erwies sich jedoch auch als Vorteil, weil es mich vor einsamen, selbstherrlichen Entscheidungen bewahrte und dafür sorgte, dass schon früh Kommunikation, Transparenz, kollektive Beratung, Übertragung von Verantwortung und Befugnissen sowie Vertrauen in das Team zu meinen Führungs- und Handlungsgrundsätzen wurden.
  3. Ich durchlief in meinen 42 Berufsjahren einen Prozess beginnend vom Außenhandelskaufmann mit ausschließlicher Fokussierung auf die kommerzielle Geschäftstätigkeit über den Erwerb von Kenntnissen zur Führung von Unternehmen bis hin zur Gewinnung, Formung, Begleitung und Förderung von Menschen in allen Bereichen. Gerade in den letzten Jahren hat mir die Arbeit mit jungen Menschen, mit Azubi – wir erreichten immerhin eine Ausbildungsquote von 10% – mit Studierenden und Neueinsteigern, aber im Grunde mit allen meinen Leitern und Mitarbeitern am meisten Spaß gemacht.

Und irgendwie schließt sich auch da der Kreis zur Außenwirtschaft und zur HfÖ: Vertrieb heißt Aufträge, Märkte gewinnen – aber um Aufträge und Märkte zu gewinnen, muss man immer Menschen gewinnen – und im Idealfall begeistern.

Meine liebe Ute war in all den Jahren meine wichtigste Stütze und wertvollster Ratgeber bei so mancher schwierigen Entscheidung. Auch sie durchlief erfolgreich mehrere Stationen in verschiedenen Unternehmen.
Nach dem beruflichen Start im Außenhandel und der Geburt unserer Kinder war es Utes Intention von Anfang an, neben dem Job ausreichend Kraft und Zeit für die Familie und die Kinder zu behalten und somit nicht unbedingt die ganz große Karriere anzustreben, obwohl sie das Zeug dazu hatte.
Bei Robotron exportierte sie Schreib- und Bürotechnik in alle Erdteile und nach dem Umzug von Berlin ins Erzgebirge tat sie dasselbe mit Waschmaschinen aus Schwarzenberg, leider kam im Jahre 2000 auch für FORON das Aus.
Sie ließ sich nicht entmutigen und startete einen erfolgreichen Neuanfang bei der sächsischen Tochtergesellschaft des bayrischen Bauunternehmens Max Bögl, wo sie bald als Mitglied der Geschäftsleitung die Führung des kaufmännischen Bereiches bis zu ihrem Renteneintritt inne hatte.
Unsere Kinder haben uns längst zu glücklichen Großeltern von 5 Enkeljungen im Alter zwischen 5 und 20 Jahren gemacht.

Die Jahre an der HfÖ sehen wir mit dem heutigen Blick auf ein erfülltes und bewegtes Leben als eine herausragende, prägende Denk- und Bewusstseinsschule. Das Kennenlernen vieler interessanter Menschen, Persönlichkeiten, Dozenten, Mentoren und natürlich Kommilitonen ist bis heute sehr nachhaltig in unserer Erinnerung und immer noch wirksam. Für diese wunderbare, für uns ja schicksalhafte, Zeit sind wir sehr dankbar.
Wir hoffen sehr, dass im Oktober 2021 die nachträgliche Jubiläumsfeier stattfinden kann und danken den Initiatoren für die umfangreichen Bemühungen.