Autor: Michael Laschke
Prof. Dr. sc. Michael Laschke (FIN 63) arbeitete nach seinem Studium mehrere Jahre am Wissenschaftsbereich Wirtschaftsgeschichte unserer Hochschule, den Prof. Hans Mottek aufgebaut und viele Jahre geleitet hat. Mit seinem Beitrag in Vorbereitung des HfÖ-Treffens möchte er Leben und Wirken dieses großartigen Hochschullehrers und Wissenschaftlers würdigen.
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans Mottek gehörte seit Gründung der Hochschule im Jahre 1950 zu ihrem wissenschaftlichen Personal und baute sie unter Leitung von Prof. Eva Altmann mit auf.
Er wuchs in Berlin in einer bürgerlichen jüdischen Familie auf, studierte von 1929 bis 1932 Rechtswissenschaft an den Universitäten Freiburg und Berlin. Für seine mit einem Referendariat am Amtsgericht Bernau begonnene berufliche Laufbahn gab es nach dem Erlass des Berufsbeamtengesetzes des NS-Staates im April 1933 keine Perspektive mehr. Er emigrierte nach Frankreich, weiter nach Palästina, wo er 1935 der KP beitrat, von dort 1936 nach England, arbeitete als Bau- und Landarbeiter, wurde Gründungsmitglied der FDJ in England und kehrte 1946 nach Deutschland zurück.
Zunächst Jurist in der Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge Berlin, bereitete er sich ab 1947 auf eine wissenschaftliche Laufbahn vor und promovierte 1950 an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität unter Jürgen Kuczynski über „Die Ursachen der preußischen Eisenbahn-Verstaatlichung des Jahres 1879 und die Vorbedingungen ihres Erfolges“.
Seinem ersten Lehrauftrag an der damaligen Pädagogischen Hochschule Groß-Berlin folgte schon im Herbst 1950 die Aufgabe, an der Hochschule für Planökonomie in Karlshorst (später Hochschule für Ökonomie) das Seminar für Wirtschaftsgeschichte aufzubauen. Die Organisationsformen änderten sich zum Institut, dann Wissenschaftsbereich. Hans Mottek blieb der Leiter bis zu seiner Emeritierung 1975. Und darüber hinaus dem Institut in Lehre und Forschung bis zur Abwicklung der Hochschule im Jahre 1991verbunden. Er unterstützte 1990 den Vorschlag an Außenminister Genscher, die Hochschule für Ökonomie in eine Internationale Ökonomische Universität mit Ost-West-Ausrichtung zu überführen, der an den Berliner Senat verwiesen wurde und dort offensichtlich versandete.
Alle Studenten – oder fast alle – sollten den Namen Mottek kennen, denn Wirtschaftsgeschichte war Pflichtfach an der HfÖ. Das war ein Novum an deutschen Universitäten. Wer sich unüblicher Weise auch als Student der Volks- oder Betriebswirtschaft wirtschaftshistorisch bilden wollte, musste dazu Veranstaltungen in traditionellen historischen Fakultäten belegen.
Studienmaterial für die wirtschaftshistorische Ausbildung von Ökonomen an der Hochschule gab es noch nicht. Es wurde von Hans Mottek und zwei Assistenten alternierend mit den ersten Vorlesungen entwickelt. Ihm schwebte eine „wissenschaftliche Geschichte der deutschen Volkswirtschaft“ vor. Wer in diesen Anfangsjahren Vorlesungen von Hans Mottek hören konnte, hatte es besonders gut getroffen. Kein fertiges Manuskript lag auf dem Pult, sondern eine Arbeitshypothese zur Geschichte der deutschen Wirtschaft. „Mottek“, so Karl Mickel 1969, „erhob den Prozess der Forschung selbst zum Gegenstand der Vorlesung“. Seine Vorlesungen reihten die historischen Fakten nicht lediglich zu einer langen Kette, sondern suchten mit Argument und Gegenargument ihre Triebkräfte, inneren Zusammenhänge und Widersprüche aufzudecken – ohne jedoch dabei ins Spekulative abzugleiten. In den Seminaren wurde dann eine vertiefte ökonomische Analyse der Ursachen und Einflussfaktoren vorgenommen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft diskutiert. Vorlesungen und Seminare waren für Studierende im 1. Studienjahr nicht einfach. Aber die Saat ging auf, wie einige der auf dieser Webseite veröffentlichten Beiträge von HfÖ-Absolventen belegen.
1957 legte Hans Mottek den ersten Band seiner „Wirtschaftsgeschichte Deutschlands“ vor. 1964 folgte Band II, 1974 Band III, der zusammen mit seinen Kollegen und früheren Studenten Prof. Walter Becker und Prof. Alfred Schröter verfasst wurde. Der „Mottek“ wurde zum internationalen Standardwerk der deutschen Wirtschaftsgeschichte und Quelle einer neuen, an Marx` Kapital orientierten Schule wirtschaftshistorischen Denkens weit über den deutschsprachigen Raum hinaus. In Kalifornien wurde er in Deutsch gelesen, in Japan in die Landessprache übersetzt. „Exportschlager“ der DDR in der BRD, kursierten dort auch unzählige Schwarzdrucke.
Die Regierung der DDR würdigte seine Leistungen als Wissenschaftler und Hochschullehrer schon 1968 mit dem Nationalpreis III. Klasse für Wissenschaft und Technik. Die Hochschule für Ökonomie verlieh ihm 1970 die Ehrendoktorwürde. Den Vaterländischen Verdienstorden in Gold erhielt er 1975, die Ehrenspange 1985.
Aufbauend auf den bisherigen historischen Arbeitsergebnissen beginnen in den 60er Jahren seine Untersuchungen zur industriellen Revolution in Deutschland, die ihn bereits in dieser Zeit zu den Folgen für Mensch und Umwelt führen, ebenso seine Forschungen zur Wahl der richtigen Technik bei der Beschleunigung des Wirtschaftswachstums in Vergangenheit und Zukunft. Sie lassen sich, an dieser Stelle verkürzt formuliert, so zusammenfassen: Er betrachtet mögliche nachteilige Wirkungen neuer Technik auf die Umwelt im Zuge beschleunigten Wirtschaftswachstums als globale Phänomene, die die ganze Menschheit betreffen, zunehmend die natürlichen Ressourcen verbrauchen und die Umwelt zerstören. Solche Wirkungen sollten als negativer Gebrauchswert erfasst und, mit einem Preis versehen, in die Bewertung neuer Technik einbezogen werden. Das war vorerst in allen Wirtschaftssystemen nicht opportun – mit den Prinzipien stabiler Preise im DDR-Sozialismus schon gar nicht vereinbar. „Mottek blieb zunächst der einsame Rufer in der Wüste“ (Thomas Kuczynski (ST 63)), aber das Umweltproblem sein Thema.
Seit 1969 Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (1971 dann Akademie der Wissenschaften der DDR), trug er seine Überlegungen immer wieder hartnäckig auch jenen vor, die sie nicht hören wollten. Er wurde 1972 zum Leiter der „Kommission für Umweltforschung“ der Akademie ernannt und war als Vertreter der DDR und Sozial-/Wirtschaftswissenschaftler an Aktivitäten am Internationalen Institut für Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien zur globalen Modellierung der wirtschaftlichen und Umweltentwicklung in Weiterführung des Ansatzes von Mihailo Mesarović und Eduard Pestel des Club of Rome beteiligt. (Der Club of Rome hatte 1972 sein Gutachten zu den Grenzen des Wachstums veröffentlicht.) Aus der Kommission wurde 1974 der „Wissenschaftliche Rat für Umweltforschung“, zuständig für die Koordinierung eines alle Disziplinen umspannenden Forschungspotenzials, den Hans Mottek bis zu dessen plötzlicher Auflösung zum 1. Januar 1976 leitete. Gleichzeitig wurde er als DDR-Vertreter für das IIASA abgelöst.
Er arbeitete auch weiterhin zu globalen Umweltthemen, aber vorerst lag, auf der Basis des im Studium der Rechtswissenschaften geschulten juristischen Denkens, sein Arbeitsschwerpunkt auf einer strengen, an Mathematik und Naturwissenschaft orientierten wirtschaftstheoretischen Analyse des ihm inzwischen zur Verfügung stehenden historischen Materials. Dazu erschien 1982 seine Monographie „Die Krisen und die Entwicklung des Kapitalismus“.
Nach der Wende nutzte er die nun bestehenden Möglichkeiten der Propagierung globaler Umweltthemen mit aller ihm noch verbleibenden Kraft. Im letzten Aufsatz (1992) präzisierte er seine Gedanken zu einem Weltgutachten über den Zustand der Umwelt und zur Schaffung eines weltumspannenden ressourcenschonenden Wirtschaftssystems von Produktion bis Konsumtion.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen veröffentlichte 2012 eine neue Weltrangliste über zukünftige Umweltprobleme, die von 22 Wissenschaftlern aus zwölf Ländern und in Kooperation mit 400 Experten aus vielen Ländern bearbeitet werden sollen. Damit könnte die Vision eines Weltgutachtens, die Hans Mottek bewegte, der Realität einen ganz kleinen Schritt näher gekommen sein. Auf jeden Fall bleibt die Erinnerung an Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Mottek als langjähriger hervorragender Hochschullehrer der HfÖ und Initiator einer ganzheitlichen Umweltforschung in der DDR. Sein Werk soll in der Ende 2019 errichteten Mottek Stiftung für Wirtschaftsgeschichte und Umwelt erfasst, in seiner Breite zugänglich gemacht und weitergeführt werden.
Der Beitrag wurde aus verschiedenen Quellen zusammen gestellt. Ich danke der Mottek Stiftung und ihrem Vorstand, Frau Daisy Irmgard Mottek, sowie meinem Kollegen Prof. Dr. Gerd Neumann für ihre Hinweise. Dank auch für die Zustimmung zur Verwendung des Porträtfotos.